Als Kulturanthropolog:innen forschen wir nah an unseren Feldpartner:innen – deren Praktiken und Deutungen sind der Ausgangspunkt für unsere spätere Analyse. In unserem Forschungsprojekt haben wir uns für den Einsatz der Methode „Photovoice“ entschieden. Sie kombiniert visuelles Material in Form von selbst aufgenommenen Fotografien mit Erzählungen aus Interviews und gibt damit den Alltagspraktiken und Deutungen aus dem Feld Raum.
„Bitte fotografieren Sie Ihren (persönlichen) Arbeitsalltag“ – was die Landwirt:innen als Reaktion auf diese Bitte schließlich ins Bild rückten, blieb ihnen überlassen. Die Bedeutung der Bilder erschloss sich uns allerdings erst im gemeinsamen Gespräch, als unsere Feldpartner:innen den Inhalt der Fotografien näher erläuterten und kontextualisierten. Die folgenden Essays verdeutlichen das Erkenntnispotential dieser Methode, geben Einblick in den Ablauf der Forschung und zeigen, wie Bild und Sprache analytisch zusammenfinden.
Landwirtschaft bedeutet auch, zu planen und mit der Zukunft umzugehen. Vor dem Kontext anhaltender Trockenzeiten, Lieferengpässen und steigender Preise kann die Zukunft jedoch angstbesetzt sein und von den Akteur:innen als unsicher wahrgenommen werden. Interventionen in der Gegenwart sollen dem entgegenwirken und das Kommende kontrollierbarer machen – als ein solcher Steuerungsversuch lassen sich auch bioökonomische Bestrebungen kategorisieren.
Was passiert im landwirtschaftlichen Alltag, wenn nicht mehr primär das Ökonomische, sondern auch das Ökologische zum Bezugspunkt der Praktiken wird? Oder ist die Auseinandersetzung mit ‚Natur‘ – etwa Pflanzen und Tieren – der Landwirtschaft sowieso inhärent? Landwirt:innen stehen in einem relationalen Verhältnis zu der sie umgebenden Umwelt: Das Sorgetragen für neu wachsende Fichten und Tannen sichert den eigenen wirtschaftlichen Ertrag, die stofflich nicht direkt verwertbare Haselnussplantage stabilisiert die Biodiversität und gibt Nährstoffe an den bewirtschafteten Ackerboden zurück. Die Vorstellung einer vermeintlichen Trennung von Mensch und Umwelt, von Kultur und Natur scheint hier aufgehoben.
Der landwirtschaftliche Hof als eine in sich abgeschlossene Entität – das ist eine Vorstellung, die sich in der Praxis nicht halten kann. Landwirtschaftliche Betriebe sind geprägt von Kooperationen und Beziehungen – nicht nur innerhalb des Hofes, sondern auch hin zur Natur und mit umliegenden Betrieben. Regionalität erweist sich als zentrale Kategorie – sie zeigt sich im Sorgetragen für den gemeinsam geteilten Boden oder in betriebsübergreifenden Tauschbeziehungen.
Traubentrester, Schnittgut, Kuhmist – Abfallprodukte, die in der Biogasanlage ein zweites Leben finden. Bioökonomische Praktiken setzen auf innovative biobasierte Rohstoffe in Form von Reststoffen oder alternativen Pflanzen wie Soja und Silphie. Deren Ressourcencharakter muss von den Landwirt:innen allerdings erst in einem Prozess der Wertzuschreibung erkannt und anschließend realisiert werden. Dafür sind – auch das zeigen unsere Forschungen – (neu geschaffene) Infrastrukturen sowohl auf dem jeweiligen Hof als auch in Kooperation mit anderen Beitrieben notwendig.
Landwirtschaft ist Arbeit und damit ein ökonomisch durchdrungenes Feld. Die bioökonomische Idee setzt an der Veränderung gängiger, auf fossilen Ressourcen basierenden Wirtschaftsweise an und hofft davon ausgehend auf eine gesamtgesellschaftliche Transformation. Die Forderung nach Wandel trifft jedoch auch auf konkrete lebensweltliche ökonomische Zwänge in den landwirtschaftlichen Betrieben. Bioökonomische Innovationen können hier Chancen bieten, betriebliches Wirtschaften zu stabilisieren, zugleich stellen sie aber für die Betriebe auch große finanzielle, logistische und auch soziale Herausforderungen dar.
Der Baumert Hof ist einer von tausenden Höfen in Baden-Württemberg. Als Aussiedlerhof in den 1950er Jahren gegründet, hat sich die Art der Bewirtschaftung seitdem stark verändert. Noch heute gibt es Ackerbau und Nutztierhaltung auf dem Hof – doch die Methoden haben sich stark verändert. Wo früher noch händisches Melken notwendig war, übernimmt diese Aufgabe nun ein Melkroboter. Ein Teil der Milch wird noch vor Ort zu Speiseeis verarbeitet und dann verkauft. Auch die Ackerflächen dienen nicht mehr allein dem Anbau von Futtermitteln für Nutztiere, sondern auch der Produktion von Biomasse für die hofeigene Biogasanlage. Ein Großteil der genutzten Biomasse wird aber nicht extra dafür angebaut.
So fällt Gülle als Nebenprodukt der Milchviehhaltung an. Neben dem Ausbringen der Gülle als Dünger wird sie in der Biogasanlage energetisch genutzt.
Das Team um Veronika Larranaga-Schneider, Karl-Philipp Baumert und Raphael Baumert betreibt den Hof mit einer klaren Orientierung auf eine Landwirtschaft, die auch in Zukunft noch bestehen kann. Diese Ausrichtung zeigt sich nicht nur in den genutzten nachhaltigen Methoden, sondern auch etwa durch den Versuch den Kund:innen, Abläufe transparent und nachvollziehbar darzustellen. Sei es durch die installierten Infotafeln vor dem Hof oder die Einladung den Hof zu besuchen.
Der Hof Breitenfellner in Kandern, Südbaden, ist ein Familienbetrieb, der sich auf landwirtschaftliche Dienstleistungen spezialisiert hat. Als landwirtschaftliches Lohnunternehmen bietet der Hof unter anderem Dienstleistungen wie Pflügen, Saatbettbereitung, Aussaat und Ernte an. Gleichzeitig betreibt der Hof einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb und konzentriert sich dabei auf den Anbau von Körnern und Weizen.
Eine Besonderheit des Hofes Breitenfellner ist die Entwicklung des eigenen organischen Düngers. Hierbei handelt es sich um eine innovative und nachhaltige Lösung, um nicht nur die Qualität der Produkte zu verbessert, sondern auch die Umwelt zu schonen.
Ein kleiner Familienbetrieb im Freiburger Umland – bewirtschaftet von Simon Schmidt und seinen Eltern. Mit einer Biogasanlage erzeugen sie dort Strom und Wärme für viele umliegende Haushalte. Ein Landwirtschaftsbetrieb, der die Felder farbenfroh erblühen lässt und der Rinder großzieht: Willkommen auf dem Heidenhof in Teningen!
Dank des Projekts durften wir Simon Schmidt besuchen und viel von seinem Arbeitsalltag lernen. In unseren Essays erfahrt ihr mehr!
Der Heidenhof:
Philipp Ruf, 37, lebt mit seiner Frau und seinen drei jungen Kindern auf einem Bauernhof in Sankt Peter, seinem Heimatdorf im Schwarzwald. Über der Eingangstür des Hofs hängt das Wappen der Familie mit dem Aufbaudatum 1740 – ein Hinweis auf die vielen Generationen zuvor. Sein Vater hat ihn früh an die kommende Übernahme des Besitzes eingeführt, aber von der Milchindustrie hat Philipp sich Anfang der 2000er verabschiedet und nutzt den Stall nun als Stauraum für sein Auto und das Spielzeug seiner Kinder.
Er ist im Gegensatz zu seinen Eltern kein hauptberuflicher Landwirt, sondern arbeitet vier Tage pro Woche als Maler und Stuckateur. Daneben kümmert er sich um die Pflege seiner 45 Hektar Wald und die Produktion von Wertholz (hauptsächlich für die Herstellung von Möbeln), Brennholz und Hackschnitzel.
Der landwirtschaftliche Alltag ist geprägt von Routinen: repetitiven, wiederkehrenden Handlungen. Sie zeigen sich in Praktiken, die durch Spezifika der Jahreszeiten, der Fruchtfolgen und Rhythmen der Viehhaltung vorgegeben sind. Dies mag Vorstellungen von Planbarkeit und Erwartbarem transportieren. Was aber, wenn diese Routinen gestört werden, durch klimatische Bedingungen, veränderte Marktlagen und Erwartungshaltungen? Flexibilität wird zum kulturellen Imperativ und das Kommende zu einer spekulativen und schwer antizipierbaren Größe.
Die Implementierung neuer Technologien in den Betriebsablauf ist in der Regel mit hohen Investitionssummen verbunden. Landwirtschaftliche Betriebe sind deswegen häufig auf finanzielle Förderungen seitens der Politik angewiesen. Was gefördert wird, ist dabei immer auch abhängig davon, was politisch zu der jeweiligen Zeit förderungswert erscheint. Bioökonomische Vorhaben werden gegenwärtig von Regierungen auf unterschiedlichen Ebenen forciert – zumindest in dem politisch festgelegten Rahmen. Dass es hier zu Leerstellen und Reibungszonen mit dem landwirtschaftlichen Alltag kommen kann, zeigt sich in herausfordernden bürokratischen Verfahren und fehlenden Plattformen zur Förderung eigener ökologischer Vorhaben, wie zum Beispiel der hofeigenen Wildblumenwiese.
Landwirtschaft hat heute nur wenig zu tun mit einer romantisierten Vorstellung von mit Handgeräten bearbeiteten Äckern. Große Traktoren, riesige Biogasanlagen und selbstfahrende Gülletransporter ermöglichen es erst, Erzeugnisse in den benötigten Mengen, den knappen zeitlichen und finanziellen Rahmen zu produzieren. Mensch, Maschine und Rohstoff lassen sich in der landwirtschaftlichen Praxis dabei schwer voneinander trennen – vielmehr bilden sie ein komplexes Handlungsnetzwerk aus.
Wissen durchzieht stetig landwirtschaftliche Arbeit und Alltage: Es geht um das Wissen über Zusammenhänge im Betriebsablauf, über Wachstumszeiten der Pflanzen, klimatische Bedingungen oder auch um das Wissen über das weitere Potential von Rohstoffen und Abfallprodukten. Wissen kann über Generationen hinweg weitergegeben oder muss erst angeeignet werden – insbesondere, wenn Innovationen in den landwirtschaftlichen Alltag integriert werden.
Kümmel Text.
Pizza Text.