… & Big Data
Die Prognosen sind eindeutig: Bereits im Jahr 2008 lebte weltweit über die Hälfte der Menschen in der Stadt statt auf dem Land. Bis 2050 soll sich dieser Wert, welcher in Europa bereits erreicht ist, auf 70 Prozent erhöhen. Dabei sind Städte ein zentraler Faktor, wenn es um soziale, wirtschaftliche, aber vor allem umweltbelastende Aspekte geht. Beispielsweise werden zwischen 60 bis 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs in Städten umgesetzt. Mit dem Stadtentwicklungskonzept der ‚Smart City‘ (smarte Stadt) soll diesen und vielen weiteren Herausforderungen des städtischen Alltags entgegengetreten werden. Dadurch wird sich oft eine fortschrittlichere, ökologischere, effizientere und vor allem lebenswertere Stadt versprochen. Wobei Letzteres eindeutig im Auge der betrachtenden Person liegt und es sicherlich kein zu vereinheitlichendes Verständnis einer lebenswerten Stadt gibt. Konkrete Maßnahmen werden deshalb in vielen unterschiedlichen Bereichen wie Mobilität und Infrastruktur, Energieeffizienz, Umwelt- und Ressourcenschonung und im Stadtverwaltungssektor umgesetzt. Dazu werden neue Informations- und Kommunikationstechnologien genutzt, die untereinander verknüpft werden und oft mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) zu selbstlernenden, adaptierenden und optimierenden Lösungssystemen für Städte agieren.
Doch dadurch hinterlässt auch jede*r eine Datenspur beim alltäglichen Leben und Bewegen in der Stadt: Via App sucht man sich beispielsweise die nächste Busverbindung heraus, zahlt direkt online das Ticket und lässt sich dann live die Zeit anzeigen, wann der nächste Bus kommt. Der Weg von A nach B lässt sich so komfortabel, umweltfreundlich und ohne lange Wartezeiten gestalten. Und dennoch werden bei diesem so einfachen und für uns alle inzwischen schon alltäglichen Prozess Daten gesammelt, gespeichert und weiterverarbeitet. Bestenfalls werden diese für Verbesserungsmaßnahmen des Verkehrsverbundes genutzt, ungünstig wäre es, wenn die Daten in unbefugte Hände fallen und diese dann Bescheid wissen, welches dein neues Lieblingscafé ist und auf welchem genauen Weg du hingekommen bist.
Auch die Bundesregierung befasst sich seit einigen Jahren mit dem Thema Smart City und hat in einem Dialogprozess mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteur*innen im Jahr 2017 die ‚Smart City Charta‘ auf den Weg gebracht. Hier finden sich Grundsätze, Leitlinien und Empfehlungen für Kommunen und auch das Thema Big Data und vor allem der Schutz der riesigen generierten Datenmengen kommt hier zur Sprache. Kommunen in Deutschland wird nahegelegt, die Datenhoheit zu behalten und ihre eigene Rolle beim Produzieren, Speichern und Verwerten von Daten regelmäßig zu hinterfragen und die dahinterstehenden Prozesse transparent zu machen. Vor allem steht der Mensch als letzte Entscheidungsinstanz und als Schützer*in von Grundrechten, Sicherheit und Privatsphäre an erster Stelle: Neue Machtstrukturen dürfen nicht entstehen und Algorithmen ersetzen auch zukünftig keine natürlichen Personen oder demokratisch legitimierten Gremien.
… im Alltag
Weltweit gibt es 153 aktive Smart City-Projekte, wenn auch die wenigsten Städte einer konkreten Strategie nachgehen. Vorreiter sind hierbei bspw. Songdo-City in Südkorea, Kopenhagen und Barcelona oder auch München. Schaut man sich hingegen in der baden-württembergischen Stadt Tübingen mit ihren rund 89.000 Einwohner*innen um, wirkt auf den ersten Blick kaum etwas fortschrittlich und von dem Thema digitale Transformation könnte man scheinbar nicht weiter entfernt sein: Enge Gassen, historische Altstadt, der Neckar, der mitten durch die Stadt fließt und eine Verkehrsführung, die nicht nur Touristen zum Schwitzen bringt. Auf der anderen Seite ist Tübingen aber auch seit Jahren für grüne Politik bekannt. Eine eigene Smart City-Strategie hat die Stadt Tübingen noch nicht, aber es gibt kleinere Projekte, die smarte Lösungen anbieten und vor allem auch Zielsetzungen wie Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und digitale Stadtverwaltung auf ihrer Agenda haben. Dabei bietet die Stadt gerade im Bereich Mobilität smarte Lösungen an: Zum einen ist die Infrastruktur für Fahrradfahrer weitreichend ausgebaut, es gibt eine große Anzahl an Fahrradwegen und -straßen, demnächst auch Fahrradbrücken und genügend Abstellmöglichkeiten. Auf vielen Strecken ist man in Tübingen schneller mit dem Fahrrad als mit dem Auto unterwegs. So werden die Stadtbewohner*innen angeregt, von sich aus eine nachhaltige Fortbewegungsform zu wählen – auch eine Strategie die dem Smart City-Konzept zugehörig ist. Sollte man dann doch mal ein größeres Fortbewegungsmittel brauchen, gibt es in der Stadt flexible Car- und Rollersharing-Angebote, die einfach über die zugehörige App gebucht und bezahlt werden können.
Wirklich innovativ ist Tübingen allerdings im Bereich der digitalen Bürgerbeteiligung: Als erste Kommune in Deutschland hat die Stadtverwaltung die BürgerApp ins Leben gerufen und so Bewohner*innen ab 16 Jahren zur digitalen Abstimmung über Themen der Stadt befähigt. Diese Entscheidungsergebnisse, bspw. über ein neues Hallenbad oder einen Konzertsaal, dienen dem Gemeinderat als Abstimmungsgrundlage, sind aber weder juristisch noch demokratisch bindend.
… & Macht
In der Stadt der Zukunft bleiben Bewohnerinnen und Bewohner vor allem durch einen wichtigen Faktor mündig und somit auch mächtig: (politische) Partizipation. Diese muss für ein gerechtes Miteinander für alle durch die Stadtverwaltung gewährleistet werden, indem sie auch Alternativen anbietet. So auch bei dem Beispiel der BürgerApp: Hier kann man nicht nur via Smartphone, sondern auch übers Internet und auch via Brief über die Belange der Stadt abstimmen. Solche analogen Optionen sollten trotz aller technischen Neuerungen weiterhin selbstverständlich sein und bei allen Prozessen und neuen Projekten mitgedacht werden. Nur so kann garantiert werden, dass keine Einzelpersonen oder ganze Bevölkerungsgruppen beim Prozess der digitalen Transformation in Städten abgehängt werden. Gerade Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen, fehlenden technischen Möglichkeiten oder Kenntnissen oder sprachlichen Barrieren sind hierbei besonders gefährdet. Es ist Aufgabe der Stadt, egal ob smart oder nicht, allen Menschen die gleichen Chancen bereitzustellen, um sich zu beteiligen. Das könnte bspw. durch das Bereitstellen von technischen Geräten und Software im öffentlichen Raum geschehen oder mittels Personen, die analog bei Fragen und Problemen zur Unterstützung bereitstehen und angefordert werden können.
Inwieweit jede*r Einzelne*r Teil der Stadt der Zukunft sein möchte, bleibt eine individuelle Entscheidung. Dank der recht starken Datenschutzgesetze in Deutschland, muss schließlich bei jeder App und inzwischen auch bei fast jedem Schreiben eine Erklärung zum Datenschutz und somit auch zur Weitergabe von (personenbezogenen) Daten unterschrieben werden. Niemand wird gezwungen, seine Daten und somit auch ein wenig Macht aus der Hand zu geben: Die Option „Nein!“ zu sagen, gibt es dabei immer.
Autorin: Charlotte Meyer zu Bexten