Dietenbach-Dinge
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Dietenbachs Protestfelder
Kommt der Stadtteil und wenn ja, wie sieht er aus? Im Vorfeld des Bürger:innenentscheids 2019 wurde darüber intensiv in der Stadt diskutiert. Auch danach führten und führen die Baupläne für Dietenbach zu Widersprüchen und Protesten. So ist die Geschichte des Stadtteils schon heute eine Geschichte von Protestfeldern, die im Freiburger Straßenbild und darüber hinaus sichtbar werden.
- Sticker (gefunden am 05.12.2021 an einer Straßenlaterne in Freiburg-Brühl)
- Flugblatt „Kundgebung zur Demo“ (gesammelt 05.11.2021)
- Flugblatt „Kommt zum Waldspaziergang!“ (gesammelt 05.09.2021)
Stadtteilmodell
Lange vor Baubeginn nehmen Stadterweiterungen in Visualisierungen und Modellen Gestalt an. Neben einem möglichst exakten Abbild der künftigen Bauten werden dabei auch Vorstellungen und Stimmungen vermittelt. So beginnt – lange vor Beginn der Bauarbeiten – die Arbeit am Image künftiger Stadtteile.
Dieses Modell war nur ein Zwischenschritt. Es wurde aufgrund von Überarbeitungen im Bereich des Langmattenwäldchens durch eine neuere Version ersetzt. Damit steht es auch für Wandlungen, Anpassungen und die vielen auf dem Weg zum fertigen Stadtteil verworfenen Pläne.
„Liebe Nachbarn“
Ansprachen, die persönliche Nähe suggerieren, professionelle Gestaltung, Babyfotos, finanzielle Möglichkeiten oder ein hoher Status der ausgeübten Berufe: an den Laternenpfählen Freiburgs tobt ein Wettkampf der Alleinstellungsmerkmale um den knappen Wohnraum der Stadt. Der krasse Mangel daran war immer wieder zentraler Bezugspunkt der Dietenbach-Entwicklung. Von den ersten Plänen über den Bürger:innen-Entscheid 2019 bis zur Frage, wer den neuen Stadtteil letztlich bewohnen wird.
- „Ich wünsche mir ein Kinderzimmer…“ (gesammelt 01.01.2022, Freiburg-Oberau)
- „Unser neues Zuhause“ (gesammelt 31.01.2021, Freiburg-Betzenhausen)
- „Liebe Nachbarn“ (gesammelt 15.11.2021, Freiburg-Haslach)
- „4-5 Zimmer Wohnung…“ (gesammelt 06.01.2022, Freiburg-Günterstal)
- „Wohnungssuche…“ (gesammelt 06.11.2021, Freiburg)
Grenz · Punkt
Für den Stadtteil Dietenbach verschwinden alte Grenzen und neue werden gezogen. 499 Eigentümer:innen gehörten die 413 Flurstücke des künftigen Baugebiets – ein Flickenteppich, der durch Vererbungen immer komplexer wurde. Bald schon soll er – so der Plan – zu einem einzigen Gebiet verschmolzen und anschließend wieder parzelliert werden. Andere Grenzen werden dann um neue Eigentumsverhältnisse gezogen.
Dieser überflüssig gewordene Grenzpunkt wurde im Oktober 2021 im Zuge von Kampfmittelsondierungen entsorgt.
Fallgewichte britischer Stabbrandbomben
Wo gegraben wird, kommen oft Zeugnisse früherer Zeiten wieder ans Licht. 2021 wurde der Boden des künftigen Baugebiets untersucht, um es frühzeitig von problematischen Hinterlassenschaften zu säubern. Dabei wurden auch solche Fallgewichte aus britischen Stabbrandbomben gefunden. Die englische Typenbezeichnung inc 4 lb bezieht sich auf den vier Pfund (lb) schweren Brandsatz (engl. incendiary).
Britische Luftangriffe während des Zweiten Weltkriegs wurden in der Regel nachts und aus großer Höhe geflogen. Daher ist es kein Zufall, dass Bomben auch weit entfernt vom damaligen Stadtgebiet niedergingen. Diese beiden Bombenteile wurden uns von der Kampfmittelbeseitigung überlassen. Im Kontext von Freiburgs großer Stadterweiterung erinnern sie auch an die großen Zerstörungen in der jüngeren Stadtgeschichte.
Heuzinken
Die lange landwirtschaftliche Nutzung des Dietenbachgebiets hat auch im Boden Spuren hinterlassen. Dieser Zinken war früher Teil eines Traktor-Frontladers für den Transport von Heuballen. Als Teil der mechanisierten Landwirtschaft gewährt er Einblicke in frühere Nutzungen der Äcker und die Wandlungen ihrer Bewirtschaftung. Der Heuzinken wurde im 2021 bei Bodenuntersuchungen gefunden.
Wohnen in Schwarmstadt
Freiburg erscheint so attraktiv wie nie: Platz drei in der Kategorie „Top Städte“ des Reiseführers Lonely Planet 2022. Nur Auckland und Taipeh schneiden besser ab. Doch welche Konsequenzen ergeben sich aus solchen „Boostern fürs Image“ (Freiburger Wochenbericht, 03.11.2021)? Und wie entwickelt sich das Wohnen dort, wo andere Urlaub machen?
- Lonely Planet Deutschland (Hg.):
- Lonely Planet Best in Travel 2022. Die spannendsten Ziele, Trips & nachhaltigen Reiseerlebnisse.
- Ostfildern (Mairdumont GmbH & Co KG) 2021.
Wie wächst Postwachstum?
Die Grenzen des Wachstums sind schon länger in aller Munde. Doch nun stellt sich diese globale Frage ganz konkret vor Ort: sind wachsende Städte mit geringerem Flächen- und Ressourcenverbrauch eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit? Oder sind es lokal produzierte landwirtschaftliche Erzeugnisse? Dieser Futtermaiskolben wuchs im Sommer 2021 auf einem Acker des Dietenbachgebiets.
In den Seilen
Klettern ist für die Menschen in der Waldbesetzung essenziell. Die selbstgebauten Baumhäuser im Dietenbach-Baugebiet sind größtenteils nur über Seilverbindungen zu erreichen. Einige Plattformen befinden sich in mehr als 20 Metern Höhe. Sichernde Klettergurte sind daher ein unverzichtbares Hilfsmittel. Ohne sie wäre eine sichere Besetzung der oberen Baumbereiche nicht möglich.Aufgrund der Gefahren ist es den Besetzer*innen sehr wichtig, das notwendige Wissen für den Umgang mit Seilen, Gurten, Karabinern, Schlaufen und Knoten weiterzuvermitteln und niemanden zu einer Klettertour zu drängen.Der Stellenwert der Klettergurte wird auch durch bestimmte Regeln im Umgang mit ihnen deutlich. Schließlich sind intakte Klettergurte lebenswichtig. In der Waldbesetzung herrscht wenig organisierte Ordnung. Doch die Klettergrute werden regelmäßig gewartet, ordentlich aufgehängt und an zentraler Stelle verwahrt.Klettergurt (Polyester, Aluminium) aus der Dietenbacher Waldbesetzung, gesammelt im Juli 2022.
Zukunft der Land(wirt)schaft (Demo-Schild)
In der Debatte um den neuen Stadtteil Dietenbach wurden vor allem die Interessen von regionalen landwirtschaftlichen Betrieben und Naturschutz auf der einen Seite und die Behebung von Wohnungsnot auf der anderen Seite verhandelt. Zu den Gegner:innen des neuen Stadtteils Dietenbach zählten deswegen auch viele Landwirt:innen aus Freiburg und Umland. Sie veranstalteten unter anderem Demonstrationszüge mit ihren Traktoren, großen Demo-Schildern und zahlreichen Personen zu Fuß.
Am Samstag den 16.02.2019 fand unter der Leitung des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands der letzte große Traktorprotestzug vor dem Bürger:innentscheid statt.
Der Aufzug bezog sich aber nicht nur auf Dietenbach, sondern auf die prekäre Situation von Landwirt:innen deutschlandweit durch Landverlust und Flächenfraß. Das 2m x 1,5 m große Schild mit der Aufschrift „Ich trage schwarz für die Landwirtschaft – (Ja) gegen Flächenverbrauch“ war eines der Traktorschilder. Einerseits bezieht sich das Schild direkt auf die Frage des Bürger:innentscheid: „Soll das Dietenbachgebiet unbebaut bleiben?“ und andererseits soll mit der Farbe „schwarz“ die Trauer um die prekäre landwirtschaftliche Situation deutlich werden.
Die Mehrheit der Wähler:innen stimmte am 24.02.2019 jedoch für „Nein“, und mit Blick auf das Schild für die Beendigung der dortigen Landwirtschaft. Auch wenn die Entscheidung bzgl. der Bebauung des Dietenbachs gefallen ist, bleibt die Zukunft regionaler landwirtschaftlicher Betriebe und auch Nahrungsversorgung vor dem Hintergrund expandierender Städte unsicher.
Boden-los?
Durch die Klimakrise werden immer mehr Flächen auf der Erde unbewohnbar, z.B. durch Brände, Unwetter- und Flutkatastrophen. Gleichzeitig schreitet der Flächenverbrauch durch Bauprojekte rasant voran. In der Debatte um Stadtexpansionen kreuzen sich daher Wohnraum-Frage und deren bodenpolitische Konsequenzen – vor allem für Landwirt:innen, die auf die Bewirtschaftung des Bodens angewiesen sind. Im Falle Dietenbachs führte dies sehr früh zum Widerspruch zwischen Wohnraum und Anbaufläche für unsere Nahrungsversorgung und zu der Frage: neuer Wohnraum oder regionale Landwirtschaft?
Im Herbst 2016 fingen die regionalen Landwirt:innen Freiburgs an, gegen den neuen Stadtteil auf den Ackerflächen in Dietenbach zu protestieren. In diesem Zusammenhang wurde 2017 von der Bürger:inneninitiative „Pro Landwirtschaft und Wald“ im Freiburg-Stadt-Magazin ein Gastbeitrag unter dem Titel „Bauwahnsinn und Ackerflächen – Böden verschwinden“ veröffentlicht. Die Streitschrift ist ein Plädoyer für den Boden sowie unsere Nahrung, die nicht als selbstverständlich wahrgenommen werden können, genauso wenig wie die Menschen, die für die Ernährung unserer Gesellschaft arbeiten.
Seitdem sind sechs Jahre vergangen und die Entscheidungen für den Bau des neuen Stadtteils ist gefallen. Die in der Streitschrift ausgedrückte Angst um die Existenz der Landwirt:innen ist Realität geworden, auch wenn es Aushandlungsprozesse um Entschädigung zwischen den betroffenen Landwirt:innen und der Stadt gegeben hat. Neben Frust, dem Verlust von Ackerflächen und der Frage nach der Bedeutung einer regionalen Nahrungsmittelversorgung bleiben weitere in der Streitschrift erwähnte Kritikpunkte an dem Bauprojekt, welche die Debatten bis heute prägen.
Klicken Sie hier, um die gesamte Streitschrift als PDF zu lesen.
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