Der Arbeitsalltag auf einem landwirtschaftlichen Betrieb erweist sich als fortwährender Kreislauf, der auf dem Zusammenspiel vieler Komponenten basiert. Wie genau kann ein solcher Kreislauf aussehen? Dies zeige ich im Folgenden am Beispiel des Heidenhofs, eines Betriebs in Südbaden. Es ist der 30. Juli 2022 – ein heißer Sommertag in Freiburg. Zusammen mit zwei Kommilitoninnen mache ich mich auf den Weg nach Teningen, einem kleinen Dorf in der Nähe von Freiburg, wo wir Simon Schmidt auf seinem Hof besuchen. Gemeinsam mit seinen Eltern bewirtschaftet er den Heidenhof, wo sie Rinder mästen, eine Biogasanlage betreiben und Äcker und Wiesen bewirtschaften. Wir sind geleitet von der Frage, wie der Arbeitsalltag von Menschen aussieht, die bioökonomisch wirtschaften. Hinter dem Stichwort der Bioökonomie verbirgt sich die politische Idee, mit Hilfe von biologischen Prozessen erdölbasierte Produkte zu ersetzen und so nachhaltiger zu werden. Mehr Nachhaltigkeit bedeutet vor allem mehr Klima- und Umweltschutz.
In unserem Projekt ging es aber nicht in erster Linie darum, die bioökonomischen Praktiken der Landwirt:innen wissenschaftlich auf ihre Nachhaltigkeitseffekte zu überprüfen. Uns ging es darum in die subjektive Alltags- und Bedeutungswelt der Landwirt:innen einzutauchen und so zu verstehen, wie das politische Schlagwort der Bioökonomie die Lebenswirklichkeit prägt.
Simon Schmidt passt in das Konzept der Bioökonomie, weil er eine Biogasanlage betreibt, wie man sie auf dem Bild oben sieht. Biogasanlagen sind nämlich unter anderem auch Teil dieser Strategie.1 Hier können auf der einen Seite Rohstoffe, wie Gülle, Mist oder Bioabfall aus der Braunen Tonne, oder extra für diesen Zweck angebaute Biomasse, wie Getreide und Mais, vergoren werden. Aus dem entstehenden Biogas wird daraufhin Strom gewonnen. Grüne Stromerzeugung also! Wie grün sich das Ganze gestaltet, ist eine heiß diskutierte Frage. Wenn im großen Stil Mais extra für die Biogasanlage angebaut wird und die fruchtbaren Ackerflächen vor Ort nicht für die Lebensmittel- oder Futtermittelproduktion für uns und unsere Tiere genutzt werden, müssen Rohstoffe aus anderen Ländern der Welt importiert werden. Hierdurch steigt indirekt der Druck auf die Rodung des Regenwaldes. Bliebe der stehen und wir nutzten Wind- und Solarenergie verstärkt zur Stromproduktion anstelle von Biogas, wäre die CO2-Bilanz eine deutlich bessere.2 Tank oder Teller ist hier also die Frage.
Dennoch, die Idee hinter dem Ganzen ist eine gute: Anfallende Abfallprodukte wie Rindermist können zu Storm umgewandelt und noch verwendet werden, bevor sie anschließend als Dünger auf das Feld ausgebracht werden. Dadurch stinkt der Mist sogar weniger, sagt Simon Schmidt mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht – ein kleiner positiver Nebeneffekt für das angrenzende Dorf!
„Unsere Gülle, muss man auch sagen, die stinkt deutlich weniger, weil das ja eben aus der Biogasanlage kommt und keine Rindergülle ist direkt.“3 Am Beispiel von Simon Schmidts Hof wird deutlich, was das Konzept der Bioökonomie zum Kern hat: Es wird in Kreisläufen gewirtschaftet und es sollen möglichst alle zur Verfügung stehenden Ressourcen in ökologischen Prozessen genutzt und verarbeitet werden.
Doch wie genau sieht der Arbeitskreislauf mit Biogasanlage aus?
Bei Simon Schmidt funktioniert es so: Er hat Mastrinder, die er mit selbst hergestelltem Heu füttert. Diese produzieren – wie sie es nun mal tun – Mist, der dann wiederum in der Biogasanlage vergoren wird. Außerdem baut Simon Schmidt Mais und Getreide an, welches ebenfalls als Biomasse für die Biogasanlage genutzt wird. Nachdem die Masse vergoren wurde und das Methangas in einem Blockheizkraftwerk Strom produziert hat, wird sie als Dünger auf die Felder ausgebracht, auf denen im nächsten Jahr wieder Getreide angebaut wird. Was in der Biogasanlage rumkommt, erzählt uns Simon Schmidt, ist zum einen Strom, zum anderen aber auch Wärme, die als Nebeneffekt entsteht und die er in das Nahwärmenetz der Gemeinde einspeist. Sein Hof gestaltet sich insofern als intakter Kreislauf. Der Kreislauf gerät aufgrund des Klimawandels jedoch ins Wanken. Simon Schmidt erzählt, dass die Pflanzen aufgrund des geringen Niederschlags im Jahr 2022 deutlich schlechter gewachsen sind, weshalb sie nicht genug Biomasse (= Ertrag pro Hektar) für die Biogasanlage ernten konnten:
„Dieses Jahr haben wir jetzt von den ganzen Berufskollegen hier im Umkreis bestimmt nochmal 40 Hektar dazugekauft. Einfach weil da kaum Kolben dranwaren und die ja die Kolben verkaufen wollen und wir zu wenig hatten für die Biogasanlage. Also dass wir dieselbe Menge im Silo haben, haben wir 40 Hektar mehr gebraucht. Also fast das doppelte an Mais. Genau. Also es war schon sehr schlecht. So schlecht wars schon lang nicht mehr. Wir haben auch nie so früh geerntet.“[4]
Aus der misslichen Situation wurde letztlich also eine Kooperation zwischen den Landwirt:innen der Region. Schließt sich der Kreis so wieder? Naja. Zu denken sollte es uns auf jeden Fall schon geben, wenn unsere Pflanzen nicht wie gewohnt wachsen, weil der Regen über lange Wochen ausgeblieben ist…
Das Netzwerk des Heidenhofs
Auf dem Hof von Simon Schmidt ist die Biogasanlage in ein Netz eingebunden, an dem vieles beteiligt ist und vieles vonnöten ist, damit es funktioniert. Es braucht natürlich Rohstoffe für die Anlage, die selbst erst einmal beschafft werden müssen (…was jetzt leichter klingt als es ist! Schließlich muss hektarweise Mais gesät, gepflegt und geerntet werden, dann wird er zu Silage verarbeitet und erst dann kann es in die Anlage eingespeist werden), es braucht Menschen, die die Biogasanlage damit beschicken, die die Technik kontrollieren, die die Anlage bei Bedarf reparieren. Es braucht Abnehmer für den Strom und die Wärme und Infrastrukturen für ihre Weiterleitung, es braucht Felder, auf die die Gärreste wieder ausgefahren werden können, es braucht Maschinen, die das können UND – und das ist nicht zu unterschätzen! – es braucht einen rechtlichen Rahmen, in dem sich all jene Arbeitsabläufe abspielen können. Dieser war es auch, der vor 20 Jahren den Bau von Biogasanlagen so attraktiv machte und nun wieder unattraktiv erscheinen lässt – das EEG versprach damals hohe Preise für den gewonnenen Strom. Heute ist der angebotene Strompreis deutlich niedriger.
Klar wird: Das Akteur:innen-Netz ist äußert komplex. In den Kulturwissenschaften wird in diesem Kontext auf eine Theorie Bezug genommen, die sich eben solchen Netzwerken widmet: Die „Akteur-Netzwerk-Theorie“ von Bruno Latour. Mit dieser lässt sich zeigen, dass es in einer Gesellschaft nicht nur menschliche, sondern auch nicht-menschliche Akteur:innen gibt, die ihrerseits Einfluss auf das Zusammenspiel haben. Alle Akteur:innen befinden sich in einem Wechselspiel, das auf Abhängigkeiten basiert.5 Was Landwirt:innen wie Simon Schmidt daher jeden Tag machen, ist eingebettet in ein Zusammenspiel aus vielen Akteur:innen und Komponenten, in dem das eine das andere bedingt.
1 Vgl. Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg: Landesstrategie Nachhaltige Bioökonomie Baden-Württemberg [4.06.2019]. Online verfügbar unter: https://mlr.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mlr/intern/dateien/PDFs/Bio%C3%B6konomie/Landesstrategie_Nachhaltige_Bio%C3%B6konomie.pdf (Stand 08.02.2023).
2 Vgl. Umweltbundesamt: Globale Landflächen und Biomasse – nachhaltig und ressourcenschonend nutzen [01.06.2013]. Online verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/globale_landflaechen_biomasse_bf_klein.pdf, S. 97 (Stand 20.01.23).
3 Interview mit Simon Schmidt vom 14.11.2022.
4 Interview mit Simon Schmidt vom 14.11.2022.
5 Vgl. Latour, Bruno: Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers. Berlin 1996.