Invisible touch.
Zu den Wissenspotentialen einer Blechdosensammlung
Wie geht ein kulturhistorisches Museum mit einer solchen (An-)Sammlung um? Welches Wissen transportieren die Objekte?
In einem ersten Schritt werden die Blechdosen in Besitz genommen und beschreibend erfasst: sie werden inventarisiert. Das heißt sie zu vermessen, Material und Produktionstechnik zu bestimmen, die Dosen fotografisch zu dokumentieren, zu beschreiben, sie zu datieren und alle Informationen in der Museumsdatenbank unter einer Inventarnummer abzuspeichern. Ebenso wichtig ist inzwischen aber auch die Frage nach Provenienz und Akquisition, also die Frage nach Besitz, Herkunft, Handel und Vertrieb der Dosen. Da Produktverpackungen jedoch im weitesten Sinn auch Kultur-Träger sind, ist in einem zweiten Schritt die Erforschung kulturgeschichtlicher Kontexte relevant. Denn an den verschiedenen Blechdosen lassen sich die Entwicklung von Globalisierung, Produktionsmethoden, Konstruktionen von Stereotypen, Exotismus und Rassismus erkennen. Im Folgenden wird eine kleine Auswahl an Blechdosen aus dieser Sammlung vorgestellt.
Invisible Touch
Die Bremer Firma Georg Schrader & Co. wurde 1877 vom Kommerzienrat Georg Schrader gegründet, wie die Wochenzeitung „Die Zeit“ zum 75-jährigen Jubiläum am 25. September 1952 schrieb. Die Firma war die erste Zigarrenfabrik, die unmittelbar an Privatkunden lieferte und damit einer der Pioniere des deutschen Postversandgeschäftes. Neben Zigarren wurde auch Kaffee aus der eigenen Großrösterei an die Kunden ausgeliefert. Das angebotene Sortiment spiegelt die klassischen „Kolonialwaren“ Kaffee, Kakao und Tabak wider. Auffällig an dieser Dose, die aus den 1950er-Jahren stammt, ist ihre künstlerische Gestaltung. Diese ist losgelöst vom Produkt und dem Inhalt der Dose; vielmehr wird auf eine ästhetische Gestaltung mit zwei dekorativen gelben Vögeln Wert gelegt. 2009-487-109 2009-487-126 Die orange-grundige Kakaodose mit der Beschriftung: „Kamphuys‘ Cacao Zaandam Holland“ zeigt eine Abbildung einer Windmühle und mehrere Personen in „holländischer“ Tracht und Holzschuhen mit einer Tasse dampfendem Kakao in der Hand. C. Kamphuys war eine Reisschälfirma, da die Verfügbarkeit von Reis während des Ersten Weltkrieges begrenzt war, wurde 1915 bis 1939 zusätzlich eine Kakaofabrik betrieben. 1918 eröffnete C. Kamphuys eine weitere Fabrik, die dampfbetriebene Mehlfabrik „De Vrede“. Diese Fabrik wurde 1923 wegen Überproduktion geschlossen und musste sich ebenfalls dem Markt anpassen. Die Dose lässt sich somit auf die Zeit von 1920 bis 1939 datieren und wurde vermutlich aufgrund der Gestaltung mit vermeintlich authentischen holländischen Trachten für den deutschen Markt produziert. Dieses Objekt zeigt die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges als globales Ereignis welches auch die niederländischen Unternehmen und ihre Produktion beeinflusst hat obwohl die Niederlande am Krieg selbst nicht beteiligt waren. 2009-487-45 2009-487-105 Vor einem ausbrechenden Vulkan und einer kleinen Stadt fährt eine Dschunke, ein traditionelles chinesisches Boot, auf dem Wasser. Die beiden Personen auf dem Schiff, eine am Ruder und eine am Segel, tragen asiatische Kegelhüte. Die Blechdose der Marke Eduscho stammt vermutlich aus den 1950er-Jahren. Das Unternehmen wurde von dem aus Hockenheim stammenden Eduard Schopf 1924 in Bremen gegründet. Auf der Unterseite der Blechdose ist die Übersicht der angebotenen Waren wie folgt eingeprägt: „Kaffee Tee Kakao Import; Eduard Schopf“. Bei der Gestaltung der Dose wird durch die Motive auf eine Faszination für das „fremde“ Asien zurückgegriffen. Die Darstellung lehnt sich dabei an die asiatische Bildtradition – wie Holzschnitte – an, die in der europäischen Kunstwelt schon früher verbreitet wurde. Durch diese Gestaltung können die in der Dose verkauften Waren aufgewertet werden. 2009-487-52 Die Teedose der Marke Messmer greift exotische Motive in ihrer Gestaltung auf. Im Gegensatz zur Blechdose der Marke Eduscho ist sie jedoch abstrakter. Die dargestellte Frau wird in vermeintlich traditioneller asiatischer Kleidung, eine Art Kimono, mit hochgesteckten Haaren und Teetasse in der Hand dargestellt. Eingerahmt wird sie von Bambuspflanzen und einer chinesischen Vase. Auf dem Deckel der Dose sind neben dem goldenen Messmer-Logo zwei asiatische Schriftzeichen abgebildet. Aufgrund der Farbgebung in Gold und Türkis und der Gestaltung mit geometrischen Verzierungen lässt sich die Dose auf die 1960er-Jahre datieren. Die Farbe lässt sich auf das Mineral Türkis, das auch als Edelstein bezeichnet wird, beziehen das in Europa mit der asiatischen Kultur in Verbindung gebracht wurde. Eine Faszination für Asien und exotische Vorstellungen der Europäer*innen scheinen in dieser Zeit weit verbreitet zu sein, vor allem in Bezug auf Teedosen. 2009-487-93 Die Blechdose der Marke „Normann-Tee“ wirbt neben dem Schriftzug auch mit zwei befremdend karikierten Menschen von denen nur der Kopf gezeigt wird. Die eine Person trägt einen Kegelhut, eine traditionelle asiatische Kopfbedeckung, und ist mit schlitzförmigen Augen und einem spitzulaufenden Schnurrbart dargestellt. Der zweite Kopf trägt einen weißen Dastar, einen indischen Turban wie ihn vorwiegend Männer der Sikhs tragen, und einen großen, runden Ohrring im rechten Ohr. Die beiden Figuren wirken wie rassistisch überzeichnete Karikaturen und verdeutlichen damit ein westliches Überlegenheitsgefühl. 2009-487-89
Themenaspekt: Produktionsmethoden / Entwicklung
2009-487-37
Höhe: 12,3 cm, Breite: 6,1 cm, Tiefe: 6,1 cm. Blech, Papier
Themenaspekt: Produktionsmethoden / Stil
2009-487-62
Höhe: 9 cm, Breite: 17,5 cm, Tiefe: 11,5 cm, Weißblech
Themenaspekt: Produktionsmethoden / Innovationen
Höhe: 13 cm, Breite: 7,8 cm, Tiefe: 7,8 cm,Weißblech
Themenaspekt: Wirtschaftsgeschichte und Globalisierung
Höhe: 4,5 cm, Breite: 15,8 cm, Tiefe: 7,8 cm, Weißblech
Themenaspekt: Wirtschaftsgeschichte und Globalisierung
Höhe: 15,5 cm, Breite: 9 cm, Tiefe: 9 cm, Weißblech
Themenaspekt: Wirtschaftsgeschichte und Globalisierung
Höhe: 6,5 cm, Breite: 10,3 cm, Tiefe: 6 cm, Weißblech
Themenaspekt: Darstellungen des vermeintlich Exotischen und Fremden
Höhe: 9 cm, Breite: 14,5 cm, Tiefe: 9 cm, Weißblech
Themenaspekt: Darstellungen des vermeintlich Exotischen und Fremden
Höhe: 8,5 cm, Breite: 11,5 cm, Tiefe: 9,5 cm, Weißblech
Themenaspekt: Rassismus in Werbung
Höhe: 3,6 cm, Breite: 4,1 cm, Tiefe: 4,1 cm, Weißblech
Die Sammlung von Marie-Luise Lankheit (1925-2019) besteht aus 331 Blechdosen verschiedener Art. Diese entstammen nicht dem eigenen Gebrauch, sondern wurden von ihr als kunstaffine Persönlichkeit über vier Jahrzehnte hinweg im Kunsthandel zusammengetragen und als Sammlung an das Badische Landesmuseum Karlsruhe abgegeben. Ein Großteil dieser Dosen war ursprünglich für die Aufbewahrung von Tee oder Kaffee bestimmt, aber auch Blechdosen für Babypuder oder Nähnadeln sind in der Sammlung zu finden. Die Blechdosensammlung wurde systematisch und sehr sachkundig seit den 1970er Jahren angelegt. Quellen waren hierfür Flohmarktkäufe, Auktionen, Antiquitätenmessen, Reisesouvenirs, der Tausch mit anderen Sammler*innen sowie Geschenke ihres Mannes, wie vereinzelte Notizzettel in den Dosen verraten. Die Sammlerin war mit der Fachliteratur im Bereich Werbegrafik vertraut und sammelte teilweise enzyklopädisch nach Marken, sie erwarb also auch mehrere Varianten eines Entwurfs.
Kontakt:
Nicolas Dittgen
Wissenschaftlicher Volontär
Volkskunde
Badisches Landesmuseum
Schloss Karlsruhe
Schlossbezirk 10, 76131 Karlsruhe
T +49 (0)721 926 6922
F +49 (0)721 926 6537
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