Big Data im Alltag

Big Data. Wie der Name bereits verrät, geht es bei diesem Begriff um Daten –  und zwar in großen Mengen. So klar diese Beschreibung zu sein scheint, so ungenau ist sie gleichzeitig. Denn was bedeutet Big Data? Welchen Einfluss haben Daten auf unseren Alltag und welche Praktiken sind damit verbunden? Wie verändert Big Data uns und unsere Vorstellungen?

Wenn Datenmengen mit Hilfe von hochentwickelten Servern erfasst, erstellt und bearbeitet werden, generieren Algorithmen Muster, Verknüpfungen und Zusammenhänge, die nur schwer fassbar sind. Tagtäglich sind wir mit Datenmengen konfrontiert und haben selten das volle Bewusstsein und Verständnis über deren Wirkungsbereiche, Ausmaße und beteiligte Akteur*innen.

Einige der Bereiche, in denen Big Data uns im Alltag begegnet und Einfluss nimmt, haben wir uns genauer angeschaut. Die folgenden Abschnitte: Datenbank, Datenschutz, Datenstadt, Datentracking und Datenwert wollen Einblicke geben, von denen der ein oder andere vielleicht eine neue Perspektive auf das Thema mit sich bringt. Viel Spaß beim Durchklicken!

Über uns

Wir sind fünf Masterstudentinnen der Empirischen Kulturwissenschaft. Sarah Fritschi-Keck, Ann-Sophie Knittel, Charlotte Meyer zu Bexten, Rebekka Schlee und Ophelia Weyers haben sich im Zuge eines Seminars am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft mit Big Data im Alltag beschäftigt.

Grafiken: Rebekka Schlee

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Datenbank und Big Data

Die amerikanische Politikerin und anstrebende Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren ließ 2018 einen DNA-Test an sich durchführen. Sie wollte damit ihre indigene Abstammung beweisen, was zwangsläufig Kritiker*innen verstummen lassen sollte. Die Testergebnisse führten dennoch zu einem öffentlichen Eclat. Zwar hat die Politikerin tatsächlich indigene Wurzeln, aber nur zu einem verschwindend geringen Prozentsatz. Nachdem der Cherokee National Council ihr Handeln als Untergrabung der Stammesinteressen kritisierte, entschuldigte sich Warren bei der indigenen Bevölkerung und nahm ihre Behauptung zurück. Entscheidend in dieser Debatte um Ahnenabstammung war der DNA-Test. Während die analoge Ahnenforschung sich primär auf schriftliche Dokumente stützt, basiert die heutige und meist digitale Ahnenforschung auf der DNA-Analyse, der es möglich sein soll, die Abstammung exakt zu bestimmen. Um Privatpersonen den Prozess der Ahnenforschung zu erleichtern, wurden Internetunternehmen gegründet, die ihren Kund*innen kostengünstige DNA-Tests anbieten, um deren ethnische Herkunft zu ermitteln. Führende Unternehmen wie Ancestry und MyHeritage konzentrieren sich auf das Zusammenstellen von virtuellen Stammbäumen sowie auf das Auffinden von entfernter Verwandtschaft. Ein DNA-Test ist also grundlegend für die Mitgliedschaft bei einer solchen Webseite. Ancestry gibt an, inzwischen weltweit insgesamt 15 Millionen Mitglieder zu haben, wobei Kund*innen ebenfalls Zugriff auf ein virtuelles Archiv mit 20 Milliarden historischen Dokumenten hätten. Durch die große Masse an genetischen Daten, die sich bei jeder Neuanmeldung akkumulieren, steigt die Wahrscheinlichkeit, entfernte Verwandte zu finden. Gleichzeitig erlangen diese Datenbanken einen umfangreichen Bestand an personenbezogen Daten, die in dem eigenen DNA-Profil gipfeln.

… im Alltag

Teil des Veränderungsprozesses der Digitalisierung ist Verlagerung von alltäglichen Praktiken auf digitale Plattformen und soziale Netzwerke. Dies betrifft gleichermaßen die Praktik der Ahnenforschung. Unternehmen wie Ancestry möchten für ihre Kund*innen die beschwerliche Stammbaumforschung so leicht und praktikabel wie möglich gestalten, was bedeutet, dass das Auffinden von Verwandten, das Erstellen von Stammbäumen, die Auswertung der DNA-Resultate sowie die Kontaktaufnahmen mit der Verwandtschaft hauptsächlich digital über die eigene Webseite beziehungsweise über die App ablaufen soll. Die Kund*innen bringen nicht nur ihre ethnische Abstammung in Erfahrung, sondern es ist ihnen ebenfalls möglich, neue Verwandtschaftsmitglieder zu finden und in virtuelle Stammbäume einzutragen, wobei eine Kontaktaufnahme über den integrierten Chat geschehen kann. Die Unternehmen werben mit einfacher Handhabung der Nutzerfunktionen, die von zuhause aus gemütlich vor dem Laptop getätigt werden können. Selbst der DNA-Test ist in den eigenen vier Wänden durchführbar und wird vom Unternehmen an die jeweilige Person geschickt, die ihre Ergebnisse nach Einsendung der Speichelprobe in Form einer E-Mail erhält.

… & Macht

Bereits bei der Erstanmeldung müssen die Kund*innen von Ancestry persönliche Information wie E-Mail-Adresse, Kreditkartennummer, Wohnort, Namen der Elternteile, Alter und Geschlecht angeben, die unter die gesetzliche Definition der personenbezogenen Daten fallen. Dennoch übergeben die Nutzer*innen noch weitaus privatere Daten an das Unternehmen – ihre DNA. Genetischen Daten sind als äußerst sensibel zu klassifizieren und können von Firmen nur hinreichend anonymisiert werden, sodass die Wahrscheinlichkeit einer Re-Identifizierung dementsprechend groß ist. Des Weiteren gibt das genetische Profil Auskunft über den Gesundheitszustand der jeweiligen Personen sowie über deren Familie. Für die Ahnenforschungsunternehmen ist es deshalb äußerst lukrativ die genetischen Daten an dritte Parteien wie Forschungseinrichtungen und pharmazeutische Konzerne weiterzuverkaufen. Dies geschieht zwar nur mit Einwilligung der Kund*innen, dennoch können die Daten im Falle einer Entziehung der Einverständniserklärung bei den Drittunternehmen nicht mehr „zurückgeholt“ und gelöscht werden. Neben den gesundheitlichen Informationen, birgt das persönliche DNA-Profil ebenfalls das Potenzial der ungewollten Sichtbarkeit für die betreffende Person oder andere Familienmitglieder. Im Rahmen der staatlichen Strafverfolgung sind genetische Proben bedeutende Beweise, die bei hinreichendem Tatverdacht von der Polizei bei Unternehmen wie Ancestry eingefordert werden können.

Autorin: Ophelia Weyers

Datenschutz und Big Data

Bei den riesigen Datenmengen, die im Informationszeitalter permanent produziert werden, handelt es sich nicht selten um eine ganz bestimmte Datenform: die der personenbezogenen Daten. Daten, die Informationen über Menschen und ihre Handlungen, Eigenschaften, Vorlieben und Lebensweisen preisgeben, scheinen so individuell und persönlich, dass es schwer vorstellbar scheint, sie anhand weniger Klicks im Internet oder mit dem Smartphone nachvollziehen zu können. Die neuesten Technologien zeigen aber, dass dies durchaus möglich ist. Bereits zu Anfang der 2000er Jahre war das Knowhow von großen Unternehmen wie Google ausreichend, um ein minutiöses Wissen über die Gesellschaft und ihre Regungen abzeichnen zu können. Die unglaublichen Mengen an personenbezogenen Daten können nur noch anhand von riesigen Servern und ausgefeilter Algorithmen verarbeitet werden. Wenn solche hochsensiblen Informationen in großen Mengen im Umlauf sind, stellt sich bald die Frage nach ihrem Schutz. Denn wer möchte denn, dass ein persönliches Foto mit Hund, das Kaufverhalten auf Amazon oder die sexuellen Vorlieben genauestens dokumentiert sind und für Zwecke Dritter verwendet werden?

… im Alltag

Wer im Alltag auch nur ein wenig darauf achtet, wird schnell feststellen, dass er oder sie unzählige Datenfußabdrücke hinterlässt. Beispielsweise der Gebrauch von Navigations- und Kartensystemen generiert und dokumentiert die Standortdaten unzähliger Nutzer*innen. Gerade die Standortdaten waren es, die im Frühjahr 2020 zu einer erneuten Diskussion um den Schutz persönlicher Daten führte und die Gespräche um die erst 2018 europaweit einheitliche Datenschutzgrundverordnung wieder aufflammen ließ. Grund dafür war der Beginn der Corona Krise, die viele gesellschaftliche Strukturen und bereits routinierte Alltagshandlungen zutiefst erschütterte. So wurden die Ideen der Regierung, die Standortdaten der Bürger*innen auszuwerten und im Kampf gegen die Krise zu verwenden, überaus kritisch beäugt. Die Angst vor einem möglichen Missbrauch zeichnet sich auch in Befürchtungen einer Verwendung der personenbezogenen Daten durch Firmen ab. Die Sozialwissenschaftlerin und Ökonomin Shoshana Zuboff spricht in diesem Zusammenhang von Daten als Rohstoff eines so genannten Überwachungskapitalismus. Im Rahmen der Redenreihe „Making sense of the digital society“ der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG) beschäftigt sie sich hier mit dieser neuen Form des Kapitalismus und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Neben diesen Punkten stützen auch schon frühe Beispiele, wie das Volkszählungsurteil der 1980er-Jahre, ein bestimmtes Narrativ: Persönliche Daten werden als schützenwert gesehen. Seit geraumer Zeit sind dieser Meinung allerdings nicht nur Datenschützer*innen, sondern auch Apple, Samsung, Google und Co.

… & Macht

Die Privatheit von Daten und deren Schutz wird in Werbespots oder vielen Anwendungen selbst thematisiert. Es wird eine größtmögliche Freiheit bei bestmöglichem Schutz beworben. Es stellt sich dennoch die Frage, vor wem oder was genau die eigenen Daten geschützt werden sollten. Interessant bei der Verwendung des Datenschutznarratives durch Konzerne ist, dass deren eigene Rolle als Datensammler*innen in den Hintergrund rückt. Bei der Rede von Datenschutz  wird Einfluss auf eine bestimmte Erzählung genommen, die bewertet, welche Daten als privat und schützenswert gesehen werden. Nutzer*innen wird vermittelt, dass sie sich geschützt fühlen können. Durch die Warnung vor einer unbekannten Gefahr wird jedoch verschleiert, welches Wissen die scheinbar schützenden Konzerne haben. Es entstehen Informationsasymmetrien, welche zur Folge haben, dass die generierten Datenmengen nicht für alle sichtbar sind. Diese Unsichtbarkeit der Datenmengen verstärkt den Eindruck einer Privatheit der Daten, die jedoch nicht zwangsläufig gegeben ist. Das Wissen um Daten und deren Verwaltung, Bearbeitung und Generierung hat demnach auch Machtasymmetrien zur Folge, da bestimmte Akteur*innen sich günstiger positionieren können als andere. Die Idee von Datenschutz an sich birgt also Risiken und sollte kritisch betrachtet werden. Es kann gefragt werden, wer die scheinbar schützende Institution ist und inwieweit das Konzept tatsächlich von Vorteil ist. Inwieweit ist von Transparenz die Rede, wenn trotz steigender Sichtbarkeit unzähliger, alltäglicher und freiwillig geteilter Informationen das Bewusstsein über unfreiwillig geteilte Informationen verloren geht?

Autorin: Rebekka Schlee

Datenstadt und Big Data

Die Prognosen sind eindeutig: Bereits im Jahr 2008 lebte weltweit über die Hälfte der Menschen in der Stadt statt auf dem Land. Bis 2050 soll sich dieser Wert, welcher in Europa bereits erreicht ist, auf 70 Prozent erhöhen. Dabei sind Städte ein zentraler Faktor, wenn es um soziale, wirtschaftliche, aber vor allem umweltbelastende Aspekte geht. Beispielsweise werden zwischen 60 bis 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs in Städten umgesetzt. Mit dem Stadtent­wicklungs­konzept der ‚Smart City‘ (smarte Stadt) soll diesen und vielen weiteren Heraus­forderungen des städtischen Alltags entge­gen­­­getreten werden. Dadurch wird sich oft eine fortschrittlichere, ökologischere, effizientere und vor allem lebenswertere Stadt versprochen. Wobei Letzteres eindeutig im Auge der betrachtenden Person liegt und es sicherlich kein zu vereinheitlichendes Verständnis einer lebenswerten Stadt gibt. Konkrete Maßnahmen werden deshalb in vielen unterschiedlichen Bereichen wie Mobilität und Infrastruktur, Energieeffizienz, Umwelt- und Ressourcenschonung und im Stadtverwaltungs­sektor umgesetzt. Dazu werden neue Informations- und Kommunikations­technologien genutzt, die untereinander verknüpft werden und oft mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) zu selbstlernenden, adaptierenden und optimierenden Lösungssystemen für Städte agieren.

Doch dadurch hinterlässt auch jede*r eine Datenspur beim alltäglichen Leben und Bewegen in der Stadt: Via App sucht man sich beispielsweise die nächste Busverbindung heraus, zahlt direkt online das Ticket und lässt sich dann live die Zeit anzeigen, wann der nächste Bus kommt. Der Weg von A nach B lässt sich so komfortabel, umweltfreundlich und ohne lange Wartezeiten gestalten. Und dennoch werden bei diesem so einfachen und für uns alle inzwischen schon alltäglichen Prozess Daten gesammelt, gespeichert und weiterverarbeitet. Bestenfalls werden diese für Verbesserungsmaßnahmen des Verkehrsverbundes genutzt, ungünstig wäre es, wenn die Daten in unbefugte Hände fallen und diese dann Bescheid wissen, welches dein neues Lieblingscafé ist und auf welchem genauen Weg du hingekommen bist.

Auch die Bundesregierung befasst sich seit einigen Jahren mit dem Thema Smart City und hat in einem Dialogprozess mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteur*innen im Jahr 2017 die ‚Smart City Charta‘ auf den Weg gebracht. Hier finden sich Grundsätze, Leitlinien und Empfehlungen für Kommunen und auch das Thema Big Data und vor allem der Schutz der riesigen generierten Datenmengen kommt hier zur Sprache. Kommunen in Deutschland wird nahegelegt, die Datenhoheit zu behalten und ihre eigene Rolle beim Produzieren, Speichern und Verwerten von Daten regelmäßig zu hinterfragen und die dahinterstehenden Prozesse transparent zu machen. Vor allem steht der Mensch als letzte Entscheidungsinstanz und als Schützer*in von Grundrechten, Sicherheit und Privatsphäre an erster Stelle: Neue Machtstrukturen dürfen nicht entstehen und Algorithmen ersetzen auch zukünftig keine natürlichen Personen oder demokratisch legitimierten Gremien.

… im Alltag

Weltweit gibt es 153 aktive Smart City-Projekte, wenn auch die wenigsten Städte einer konkreten Strategie nachgehen. Vorreiter sind hierbei bspw. Songdo-City in Südkorea, Kopenhagen und Barcelona oder auch München. Schaut man sich hingegen in der baden-württembergischen Stadt Tübingen mit ihren rund 89.000 Einwohner*innen um, wirkt auf den ersten Blick kaum etwas fortschrittlich und von dem Thema digitale Transformation könnte man scheinbar nicht weiter entfernt sein: Enge Gassen, historische Altstadt, der Neckar, der mitten durch die Stadt fließt und eine Verkehrsführung, die nicht nur Touristen zum Schwitzen bringt. Auf der anderen Seite ist Tübingen aber auch seit Jahren für grüne Politik bekannt. Eine eigene Smart City-Strategie hat die Stadt Tübingen noch nicht, aber es gibt kleinere Projekte, die smarte Lösungen anbieten und vor allem auch Zielsetzungen wie Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und digitale Stadtverwaltung auf ihrer Agenda haben. Dabei bietet die Stadt gerade im Bereich Mobilität smarte Lösungen an: Zum einen ist die Infrastruktur für Fahrradfahrer weitreichend ausgebaut, es gibt eine große Anzahl an Fahrradwegen und -straßen, demnächst auch Fahrradbrücken und genügend Abstellmöglichkeiten. Auf vielen Strecken ist man in Tübingen schneller mit dem Fahrrad als mit dem Auto unterwegs. So werden die Stadtbewohner*innen angeregt, von sich aus eine nachhaltige Fortbewegungsform zu wählen – auch eine Strategie die dem Smart City-Konzept zugehörig ist. Sollte man dann doch mal ein größeres Fortbewegungsmittel brauchen, gibt es in der Stadt flexible Car- und Rollersharing-Angebote, die einfach über die zugehörige App gebucht und bezahlt werden können.

Wirklich innovativ ist Tübingen allerdings im Bereich der digitalen Bürgerbeteiligung: Als erste Kommune in Deutschland hat die Stadtverwaltung die BürgerApp ins Leben gerufen und so Bewohner*innen ab 16 Jahren zur digitalen Abstimmung über Themen der Stadt befähigt. Diese Entscheidungsergebnisse, bspw. über ein neues Hallenbad oder einen Konzertsaal, dienen dem Gemeinderat als Abstimmungsgrundlage, sind aber weder juristisch noch demokratisch bindend.

… & Macht

In der Stadt der Zukunft bleiben Bewohnerinnen und Bewohner vor allem durch einen wichtigen Faktor mündig und somit auch mächtig: (politische) Partizipation. Diese muss für ein gerechtes Miteinander für alle durch die Stadtverwaltung gewährleistet werden, indem sie auch Alternativen anbietet. So auch bei dem Beispiel der BürgerApp: Hier kann man nicht nur via Smartphone, sondern auch übers Internet und auch via Brief über die Belange der Stadt abstimmen. Solche analogen Optionen sollten trotz aller technischen Neuerungen weiterhin selbstverständlich sein und bei allen Prozessen und neuen Projekten mitgedacht werden. Nur so kann garantiert werden, dass keine Einzelpersonen oder ganze Bevölkerungsgruppen beim Prozess der digitalen Transformation in Städten abgehängt werden. Gerade Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen, fehlenden technischen Möglichkeiten oder Kenntnissen oder sprachlichen Barrieren sind hierbei besonders gefährdet. Es ist Aufgabe der Stadt, egal ob smart oder nicht, allen Menschen die gleichen Chancen bereitzustellen, um sich zu beteiligen. Das könnte bspw. durch das Bereitstellen von technischen Geräten und Software im öffentlichen Raum geschehen oder mittels Personen, die analog bei Fragen und Problemen zur Unterstützung bereitstehen und angefordert werden können.

Inwieweit jede*r Einzelne*r Teil der Stadt der Zukunft sein möchte, bleibt eine individuelle Entscheidung. Dank der recht starken Datenschutzgesetze in Deutschland, muss schließlich bei jeder App und inzwischen auch bei fast jedem Schreiben eine Erklärung zum Datenschutz und somit auch zur Weitergabe von (personenbezogenen) Daten unterschrieben werden. Niemand wird gezwungen, seine Daten und somit auch ein wenig Macht aus der Hand zu geben: Die Option „Nein!“ zu sagen, gibt es dabei immer.

Autorin: Charlotte Meyer zu Bexten

Datentracking und Big Data

Die Erhebung massenhafter Daten ermöglicht es nicht nur anderen, Informationen über uns zu ermitteln, sondern auch uns selbst. Mittels sogenannter Self-Tracking-Gadgets wie „smart wearables“ können wir unsere Verhaltensweisen, Körperzustände und -leistungen sowie Emotionen erheben, sammeln und auswerten. Ziel ist dabei stets eine Optimierung – sei es der eigenen Gesundheit, des Soziallebens oder der Arbeit. Diese Vermessung des eigenen Selbst bezieht sich immer auf andere Personen: indem man die körpereigenen Werte mit denen anderer vergleicht und sich somit gegenseitig zur Optimierung anspornt.

… im Alltag

Das Streben nach Optimierung erkennt man auch in Bereichen, die man zunächst nicht mit Datenerhebung in Verbindung bringt, zum Beispiel beim Thema Elternschaft. Seit den 1990er-Jahren etablierte sich ein Leistungs- und Erfolgsmotiv, das sich im allgemeinen Sprachgebrauch in einem Wort niedergeschlagen hat: die Helikoptereltern. Gemeint sind Mütter und Väter, die ihre Kinder aus Sorge überall mit dem Auto hinfahren und deren Verhalten weitestmöglich und dauerhaft überwachen. Hinter diesem Verhalten steckt die Vorstellung, dass die Entwicklung des Kindes in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem elterlichen Handeln stehe. Dementsprechend wird versucht, dieses Handeln zu optimieren und „Fehler“, die dem Kind schaden könnten, zu vermeiden.

Was wäre nun, wenn man Tracking-Methoden nicht am eigenen Körper, sondern an dem des eigenen Kindes anwenden würde? Solche Fragen des moralischen Umgangs mit Big-Data-Technologien werden auch in der Populärkultur, insbesondere im Genre der Science-Fiction verhandelt. Ein entsprechendes Beispiel ist die Folge „Arkangel“ der Netflix-Serie „Black-Mirror“. Sie handelt von einer alleinerziehenden Mutter, die ihrer dreijährigen Tochter einen Chip implantieren lässt, mit dessen Hilfe sie Zugriff auf ihren Aufenthaltsort und visuellen Input hat. Falls ihre Tochter etwas sehen sollte, das ihr Stresslevel erhöht, kann das Gesehene durch eine Filterfunktion für sie unkenntlich gemacht werden. Im Verlauf der Geschichte wird ersichtlich, dass die gesteigerte Sichtbarkeit von Körperinformationen auch eine erhöhte Aufforderung zum verantwortlichen Handeln mit sich zieht. Die Spannbreite an dem, was optimiert und dementsprechend auch „falsch“ gemacht werden kann, erweitert sich mit jedem einzelnen erhobenen und ausgewerteten Datum.

… & Macht

Durch eine kulturwissenschaftliche Betrachtung dieser Serienfolge wird darüber hinaus deutlich, wie eng Wissen und Macht miteinander in Verbindung stehen. Der Philosoph und Soziologe Michel Foucault schreibt, dass gesteigertes Wissen zu neuen Formen der Kontrolle und Machtausübung führt, wodurch wiederum mehr Wissen generiert werden kann. Big-Data-Technologien sind somit unmittelbar verwoben mit moralischen Fragen nach menschlicher Macht und Verantwortung. Welche Auswirkung die massenhafte Datenerhebung auf unsere gesellschaftlichen Wert- und Moralvorstellungen haben wird – fernab von dystopischen Szenarien der Populärkultur – wird aus kulturwissenschaftlicher Perspektive zu beobachten sein.

Autorin: Sarah Fritschi-Keck

Datenwert und Big Data

Daten werden täglich massenweise geteilt, erhoben, gespeichert, benutzt, verkauft usw. – indem Daten die Grundlage vieler Bereiche des gesellschaftlichen Lebens von Menschen wurden, wird eine Transformation hin zur „Datengesellschaft“ erkennbar. Die Daten eines*r Jeden, die täglich im Internet bewusst oder unbewusst geteilt werden, sind zu einem Material geworden, zu dem unzählige Unternehmen, Personen und Institutionen Zugang haben. Es werden anhand des Online-Verhaltens von Menschen massenweise Nutzerprofile angelegt, ohne, dass der*die Betroffene überhaupt davon weiß. Mit jedem online geteilten Urlaubs- oder Familienbild, jeder Online-Bestellung und Recherche im Netz besteht die Möglichkeit private und sensible Informationen über den*die Nutzer*in zu erhalten. Indem diese Daten für viele Unternehmen eine wichtige Ressource für ökonomischen Gewinn darstellen, der durch ihre Auswertung oder den Verkauf an Dritte erzielt wird, erhalten sie das Attribut wertvoll. Der Datenwert bezeichnet jedoch keine neutrale und unabhängige Größe. Ein einziges Datum besitzt an sich keinen feststehenden Wert, ein einzelnes Bit bedeutet konkret lediglich eine „1“ oder eine „0“. Erst das Zusammensetzen mit vielen weiteren Daten ergibt einen Sinn beziehungsweise eine große Datenmasse, anhand derer Aussagen gemacht werden können. Big Data schafft Werte, indem Erkenntnisse aus zusammenhangslosen Datenbergen generiert werden. „1“ oder „0“ beschreiben nicht, in welchem Zusammenhang das Individuum auf eine Anzeige im Internet klickt, sondern nur, dass es dies tut – unabhängig jeglicher Zusatz-Information oder eines Kontextes.

Daten gelten als neue Währung im Netz, dessen Auswirkungen sich jedoch nicht auf die virtuelle Welt beschränken. Da sie keine neutralen Fakten abzeichnen, die unser Leben objektiv widerspiegeln, sondern immer sozial hergestellt sind, bildet sich ihre Wertigkeit auch erst durch einen bestimmten Umgang bzw. den möglichen Praktiken mit ihnen.

… im Alltag

Im Netz ist nichts kostenlos, auch wenn es oft den Anschein hat. Der Vorgang des „Bezahlens“ wird lediglich nicht als ein solcher wahrgenommen, da er im Hintergrund und für das Individuum oft komplett unsichtbar stattfindet. Ob bei der Nutzung von Social Media-Plattformen, der Kaufabwicklung einer Online-Bestellung oder lediglich der Verwendung einer Suchmaschine werden stetig Daten des*der Einzelnen erhoben. Das Bezahlen mit Daten unterscheidet sich auch zum Bezahlen im realen Leben, indem der Wert von Daten – im Vergleich zu dem des Geldes – auf den*die Nutzer*in abstrakter wirkt und nicht universell und tauschbar ist. Daten entsprechen vielmehr einem Rohstoff, deren „Kurs“ je nach Qualität und Verbrauch schwankt. Ihr Wert ist immer von verschiedenen Faktoren abhängig: dem*der Nutzer*in, dem Zweck oder der Intention, mit welcher an sie herangetreten wird und den Umständen, in denen Daten erhoben und benutzt werden. Sofern Informationen über Menschen, egal wie klein und unwichtig sie scheinen, zu dem Rohstoff werden, aus dem sich Gewinn produzieren lässt, wird das Individuum, welches diesen Rohstoff liefert, vom*von der Nutzer*in zum*zur „Lieferant*in“.

Viele Datenpraktiken, die unentwegt und automatisiert vollzogen werden, laufen komplett unsichtbar ab und verschleiern dadurch auch die Präsenz eines Datenwerts. Eine „Fremdheit“ und Mystifizierung in Bezug auf Daten und deren Wertigkeit wird im gesellschaftlichen Umgang dementsprechend vom menschlichen Unvermögen bzw. der Unmöglichkeit geprägt, sich das Phänomen „Daten“ konkret vor Augen zu führen. Die Social Media-App Threema empfiehlt, lieber einen einmaligen niedrigen Preis für die Installation der App zu zahlen, anstatt dem Bezahlen mit den eigenen Daten an andere kostenlose Plattformen. Anhand ihres Werbespots wird auf die Diskrepanz zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, dementsprechend auf Wissen und Unwissenheit, in Bezug auf den Gebrauch und den Wert von Daten verwiesen.

… & Macht

Daten haben den gesellschaftlichen Status rationaler Fakten, denen die Eigenschaft zugeschrieben wird, immer wahr und objektiv zu sein. Somit vermitteln auch Algorithmen nach außen den Anschein, die Realität abzubilden, obwohl sie sie immer auf eine bestimmte Art und Weise codieren. Algorithmen können somit nicht als neutrale Bemessungsform des Sozialen definiert werden, da sie zuschreiben, werten, produzieren und repräsentieren, was in einem spezifischen Fall als wertvoll oder auch als schlecht gilt. Wer bestimmt und definiert, was relevant und wertvoll ist und was nicht? In der Frage steckt der Hinweis auf das situativ aktive Handlungs- und Machtpotenzial von Daten. Sie stellen niemals reale Fakten dar, die lediglich in Zahlen übersetzt werden, sondern werden immer anhand einer jeweiligen Zweckhaftigkeit und eines individuellen Interesses sozial hergestellt. Ihr Wert wird von denjenigen Institutionen oder Unternehmen erschaffen, denen ein Zugang zu ihnen und die möglichen Handlungsoptionen unterliegen. Das Individuum hat oftmals keinen Einblick, wann, wie und von wem seine*ihre Daten gespeichert und in welchem Kontext sie weiterverwendet werden.

Dem Menschen wird anhand seiner Daten ein neuer Wert zugeschrieben. Da er*sie aber keinen direkten Einfluss auf seine Datenpreisgabe, deren Speicherung oder Weiterverwendung hat, findet diese Inwertsetzung nicht auf Augenhöhe statt. Das Handlungs- und Machtpotenzial von Daten wird sichtbar, wenn das Individuum denkt, dass es Konsument*in einer Online-Dienstleistung ist und dabei unwissend zum entscheidenden Rohstoff wird.

Autorin: Ann-Sophie Knittel

Datenfrage

Was ist mit Ihren Daten? Wo begegnet Ihnen Big Data und wie beeinflusst es Ihre alltäglichen Praktiken?