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Fernbleibende Regenperioden, vertrocknete Felder, verlorene Ernten – dies ist die erschreckende Lebensrealität vieler Landwirt:innen im Zeitalter der Klimakrise. Den veränderten Wetterverhältnissen ausgeliefert, sind sie auf der ständigen Suche nach neuen Möglichkeiten, um dennoch effizient wirtschaften zu können. Simon Schmidt, ein Landwirt aus Teningen, berichtet von den Unregelmäßigkeiten im Jahreszyklus:

„Also normalerweise ist Maisernte, also wenn‘s gut ist, wenn‘s normal regnet, ist es im Oktober […] und das war jetzt [dieses Jahr] einfach zwei Monate früher. Also ja – es variiert immer mal wieder.“[1]

Das von ihm im August aufgenommene Foto zeigt die Landwirte bei der Maisernte 2022. Aufgrund des heißen Sommers und der Trockenheit sieht man, dass die Pflanzen im unteren Bereich vertrocknet sind und keine Maiskolben angesetzt haben. Eine Anpassung in diesem Jahr ist daher eine deutlich frühere Ernte. Der Mais wird gehäckselt und anschließend zu Silage verarbeitet, um dann in der Biogasanlage auf dem Heidenhof von Familie Schmidt in Strom und Wärme umgewandelt zu werden. Welche weiteren Anpassungen müssen getroffen werden und welche Einstellung hat Simon Schmidt bezüglich der starken Abhängigkeit seines Arbeitsalltags?

Das Stichwort lautet Flexibilität!

Gerade der Ackerbau verlangt eine hohe Anpassungsfähigkeit an die veränderten Umweltbedingungen.  Diese Abhängigkeit wird auch in der folgenden Aussage des Landwirts deutlich: „Sonst ist eigentlich  der Ablauf immer derselbe, halt in unterschiedlichen Abständen je nachdem, wie die Temperatur und der  Regen halt ist.“2 Es zeigt sich: Der Klimawandel erfordert hohe Flexibilität und das hat eine große Auswirkung auf die Arbeitskultur. Das beginnt bei der Auswahl der Anzuchtpflanzen und zieht sich durch die alltäglichen Arbeitspraktiken auf dem Hof.

Die Landwirt:innen müssen demnach ständige Beobachtung der Wetter- und Klimalage und Neubewertungen der Situation vornehmen, um langfristige Veränderungen am besten vorhersehen und planen zu können und sich an diese möglichst gut anzupassen. Arbeitsroutinen werden optimiert, der Alltag flexibel gestaltet und in einer ständigen Bereitschaft gehalten, um den besten Erntezeitraum nicht zu verpassen. „Es ist ja kein richtiger Arbeitsalltag, wo’s sich immer wiederholt“3, so Simon Schmidt in Bezug auf typische Arbeitsroutinen im Tagesrhythmus. Jeden Tag stehen neue Aufgaben an. 

Aber da steckt noch mehr dahinter

Flexibilität ist ein Gut, welches in Arbeitskontexten zur Steigerung des Gewinns führt. Es verdeutlicht den marktwirtschaftlichen Anspruch, sowohl individuell als auch kollektiv, Leistung zu optimieren und Arbeitsprozesse zu beschleunigen. Somit ist es ökonomisch wichtig, sich flexibel anpassen zu können. Als Trendbegriff gilt in diesem Kontext die Bioökonomie, eine zukunftsorientierte Vision, gefördert von Politik  und Wissenschaft, welche ökologisch nachhaltige Entwicklung mit ökonomischem Wachstum verbinden soll. 

Die Flexibilität stellt eine Herausforderung an die Handlungsmöglichkeit und -fähigkeit dar. Bei fehlender Anpassung ist die Handlungsmöglichkeit eingeschränkt und es kommt zum Kontrollverlust. Das  Sprichwort, „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“4, verdeutlicht diese Notwendigkeit der Anpassung ziemlich lapidar. Auf der individuellen, der arbeitsorganisatorischen, systemischen und staatlichen Ebene wird Flexibilität tagtäglich eingefordert. Flexibilität kann somit ganzheitlich als kultureller Imperativ gewertet werden.5

Besonders in Krisenzeiten wird hierbei der Schlüsselbegriff der Resilienz entscheidend. Resilient ist, wer sich trotz Risiken, Einschränkungen und Stressoren der Umwelt im Gleichgewicht halten kann und die Fähigkeit besitzt, grundlegende Funktionen und Strukturen aufrechtzuerhalten. Vorrangig ist nicht die Lösung des Problems, sondern die Adaption an Veränderungen:

„Ökologische Resilienz bezeichnet folglich nicht das zeitliche Maß für die Rückkehr zu einem Ausgangspunkt […], sondern meint die Fähigkeit, Störungen zu verarbeiten und sich in Reaktion auf diese oder sie antizipierend zu reorganisieren.“[6]

Der Soziologe Ulrich Bröckling spricht hierbei von der Fähigkeit von Menschen und Systemen, Herausforderungen robust standzuhalten und sich an die veränderten Bedingungen anpassen zu können. Dies zeigt sich in dem Verhalten des Landwirts Simon Schmidt, welcher in der Anpassung seiner Arbeitspraktiken, wie beispielsweise der vorzeitigen Ernte, seine berufliche  Resilienz widerspiegelt. 

Und wie geht es weiter?

Routinen müssen angepasst, Strukturen neu gedacht und Arbeitsprozesse umgekrempelt werden. Dies hat wesentliche Auswirkungen auf die Ertragsgröße, die Zusammenarbeit mit anderen Partner:innen und damit die wirtschaftliche Sicherung der Existenz. Eine Abwägung der höchsten Ernteerträge erfordert hierbei Spontanität und Expertise. Zudem hängt davon die Leistung der Biogasanlage und somit die Versorgungskapazitäten der Energie- und Wärmeleistung vom Heidenhof für das umliegende Dorf Teningen ab. Dies führte dazu, dass Simon Schmidt im vergangenen Jahr zum Ertrag der eigenen Felder  kolbenlose Erntereste von Landwirt:innen aus dem Umkreis hinzu kaufen musste. „Also dass wir dieselbe Menge im Silo haben, haben wir 40 Hektar mehr gebraucht. Also fast das Doppelte an Mais. Genau. Also es war schon sehr schlecht. So schlecht war’s schon lang nicht mehr. Wir haben auch nie so früh geerntet.“7 Doch Simon Schmidt betont auch die positiven Erfahrungen, wie Unterstützung und die enge Verbundenheit  zwischen den Landwirt:innen in der Region. Er sieht die Herausforderungen im Kontext des Klimawandels überwindbar.

„Also ja, man kann’s schon kritisch sehen mit dem Klimawandel, aber ich denk nicht, dass man das nicht hinkriegt. Also, man muss sich halt drauf einstellen genau, aber das passt schon.“[8]

Hervorzuheben ist Simon Schmidts ausgeprägter Optimismus, welchen er bezüglich der eigenen Resilienz entgegenbringt.

In Bezug auf die Klimakrise ist Flexibilität unverhandelbar, wie sich am Arbeitsalltag des Südbadener Landwirts zeigt. Folglich entwickeln sich praktische Anpassungen, wie die vorgezogene Ernte, neue Arbeitsroutinen, oder die Kooperation zwischen den Landwirt:innen für eine möglichst effiziente und vollständige Verwertung der Ernteerträge. Auch die Umstellung des Anbaus auf Pflanzen mit höherer Resistenz gegen veränderte Klimabedingungen in Pilotprojekten, wie beispielsweise der Anbau der durchwachsenden Silphie, mit welcher Simon Schmidt den Mais zu ersetzen versucht, sind mögliche Strategien. Das zeigt, wie Ansätze der Bioökonomie bereits in alltäglichen Praktiken der Landwirtschaft auftreten und wie wichtig der Prozess der ständigen Anpassung für einen resilienten Umgang mit der Klimakrise ist.

1 Interview mit Simon Schmidt vom 14.11.2022.
2 Interview mit Simon Schmidt vom 14.11.2022.
3 Interview mit Simon Schmidt vom 14.11.2022.
4 Interview mit Simon Schmidt vom 14.11.2022.
5 Vgl. Katja Tropoja: Flexibilität als kultureller Imperativ (09.04.2017). Online verfügbar unter: https://www.kultiapro.com/2017/04/09/flexibilität-als-kultureller-imperativ (Stand 22.01.2023).
6 Bröckling, Ulrich: Resilienz. Über einen Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts. 2017, S. 9.
7 Interview mit Simon Schmidt vom 14.11.2022.
8 Interview mit Simon Schmidt vom 14.11.2022.

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Der landwirtschaftliche Alltag ist geprägt von Routinen: repetitiven, wiederkehrenden Handlungen. Sie zeigen sich in Praktiken, die durch Spezifika der Jahreszeiten, der Fruchtfolgen und Rhythmen der Viehhaltung vorgegeben sind. Dies mag Vorstellungen von Planbarkeit und Erwartbarem transportieren. Was aber, wenn diese Routinen gestört werden, durch klimatische Bedingungen, veränderte Marktlagen und Erwartungshaltungen? Flexibilität wird zum kulturellen Imperativ und das Kommende zu einer spekulativen und schwer antizipierbaren Größe.

Was passiert im landwirtschaftlichen Alltag, wenn nicht mehr primär das Ökonomische, sondern auch das Ökologische zum Bezugspunkt der Praktiken wird? Oder ist die Auseinandersetzung mit ‚Natur‘ – etwa Pflanzen und Tieren – der Landwirtschaft sowieso inhärent? Landwirt:innen stehen in einem relationalen Verhältnis zu der sie umgebenden Umwelt: Das Sorgetragen für neu wachsende Fichten und Tannen sichert den eigenen wirtschaftlichen Ertrag, die stofflich nicht direkt verwertbare Haselnussplantage stabilisiert die Biodiversität und gibt Nährstoffe an den bewirtschafteten Ackerboden zurück. Die Vorstellung einer vermeintlichen Trennung von Mensch und Umwelt, von Kultur und Natur scheint hier aufgehoben.

Heidenhof

Ein kleiner Familienbetrieb im Freiburger Umland – bewirtschaftet von Simon Schmidt und seinen Eltern. Mit einer Biogasanlage erzeugen sie dort Strom und Wärme für viele umliegende Haushalte. Ein Landwirtschaftsbetrieb, der die Felder farbenfroh erblühen lässt und der Rinder großzieht: Willkommen auf dem Heidenhof in Teningen!

Dank des Projekts durften wir Simon Schmidt besuchen und viel von seinem Arbeitsalltag lernen. In unseren Essays erfahrt ihr mehr!

Der Heidenhof:

  • in Teningen
  • Landwirtschaft mit Rinderzucht
  • Familienbetrieb
  • Stromerzeugung mit Biogasanlage

Mehr über den Heidenhof