KulturWissen vernetzt: Kooperative Strukturen in kulturwissenschaftlicher Forschung, Lehre und Wissenstransfer
KulturWissen vernetzt ist der Name eines einzigartigen Kooperationsverbundes zur Populär- und Alltagskultur. Er umfasst wissenschaftliche Einrichtungen aus Museen, Universitäten und Landesstellen in Baden-Württemberg, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: die ausdifferenzierte kulturanthropologische (ehemals volkskundliche) Wissen(schaft)slandschaft dauerhaft zu verzahnen. Grundlage ist ein strategisches Konzept zur synergetischen Stärkung des gemeinsamen Fachprofils in den Bereichen Forschung, Lehre und Wissenstransfer.
Zugänge zu Populär- und Alltagskultur
Kulturanthropologie bzw. Empirische Kulturwissenschaft als akademische Disziplin teilt mit ihrem musealen Gegenstück, der Populär- und Alltagskultur, eine lange Geschichte. Beide entstammen einer sich im 19. Jahrhundert formierenden ‚Volkskunde‘. Diese verstand sich als sammelnde und bewahrende Disziplin in Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche und Veränderungen.
Bereits damals zeichneten sich unterschiedliche Arbeitsbereiche ab: erheben und beschreiben von Forschungsdaten auf der einen, sammeln und ausstellen materieller Zeugnisse auf der anderen Seite. Dazwischen verorteten sich die volkskkundlichen Landes- und Dokumentationsstellen.
Die romantisch-verklärenden Grundlagen der Volkskunde und ihre mystisch-überhöhende Propagierung von Volks- und Brauchtum wurden spätestens in ihrem willfährigen Verbund mit der völkischen Naziideologie gründlich diskreditiert und entlarvt. Dem folgte ein langwieriger, gründlicher Prozess der Aufarbeitung und Neuausrichtung:
- An den Universitäten vollzog sich ein Abschied vom Volksleben und die Neuausrichtung der Disziplin im Hinblick auf eine empirisch fundierte Kulturanalyse. Aus Volkskunde wurde Empirische Kulturwissenschaft, Kulturanthropologie, Europäische Ethnologie, …
- Analog dazu wandelte sich im musealen Bereich die Fixierung auf Volkskunst und die Objekte einer bäuerlichen Volkskultur in ein zeitlich und räumlich breiteres und diverseres Interesse an Populär- und Alltagskultur. Anstatt in Objekten typisierte Hinweise für vormoderne ‚Ürsprünglichkeit‘ zu suchen wurde gesellschaftliche Kontextualisierung von Entstehung, Popularität und Gebrauch maßgeblich für den Umgang mit musealer materieller Kultur.
Kulturwissen vernetzen!
An Museen und Universitäten verlief die (Weiter-) Entwicklung ehemals volkskundlicher Zugänge in weitgehend getrennten Bahnen. Deshalb hat sich das Strategiekonzept KulturWissen vernetzt zum Ziel gesetzt, die gegenwärtig ausdifferenzierte Wissen(schaft)slandschaft von Alltags- und Populärkultur in Baden-Württemberg in exemplarischen Kooperationen zusammenzuführen und dauerhaft zu stärken.
Dazu entwickeln und implementieren das Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg und das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen gemeinsam mit dem Badischen Landesmuseum in Karlsruhe, dem Landesmuseum Württemberg in Stuttgart sowie dem Freiburger Zentrum für Populäre Kultur und Musik nachhaltige kooperative Strukturen, die auch das Ziel verfolgen, Impulse für breitere Öffentlichkeiten und gesellschaftliche Debatten zu geben.
- Durch Reflexion gemeinsamer Wissensordnungen werden Logiken der Wissensproduktion in musealer und universitärer Forschung im Hinblick auf künftige Synergien und Kooperationen analysiert.
- Mit kooperativen sammlungsbasierte Lehrformaten werden die Studierenden an sammlungsbasierte Forschung herangeführt. Dies verankert die objektbasierte (historische) Forschung in den beteiligten Studiengängen.
- KulturWissen kommunizieren reflektiert und verzahnt musealen und universitären Wissenstransfer.
- Die Etablierung eines Promotionsvolontariats zielt auf die Verstetigung der Kooperation zwischen Museum und Universität durch die aufeinander aufbauende Ausbildung von Volontär*innen und Doktorand*innen.
- Projektleitung: Markus Tauschek (Freiburg) und Thomas Thiemeyer (Tübingen)
- Wissenschaftliche Koordination: Karin Bürkert (Tübingen) und Inga Wilke (Freiburg)
- Laufzeit: 07/2021-06/2027
Von der VolkswagenStiftung wird KulturWissen vernetzt in der Förderlinie „Weltwissen – strukturelle Förderung für kleine Fächer“ seit Juli 2021 mit insgesamt 977.600 Euro unterstützt.
Tagung im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart am 7. und 8.11.2022 in Kooperation mit der Kommission Sachkulturforschung und Museum der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft. Die Frage, wozu Museen sammeln soll(t)en, stellt sich heute mehr denn je. Einerseits, weil das Sammeln als museale Kernaufgabe sich gesellschaftlich neu legitimieren und verorten muss. Dies berührt öffentliche Auseinandersetzungen um den Umgang mit problematischen Sammlungsbeständen genauso wie die Selbstverortung von Museen und dem daraus folgenden Auftrag. Andererseits beinhaltet die Frage „Wozu sammeln?“ auch Themen, Gegenstände und Methoden aktueller Sammlungstätigkeit. So gefragt rückt das Interesse an den der Museumsarbeit zugrundeliegenden Annahmen und Normen in den Mittelpunkt. Die Tagung möchte diese beiden Dimensionen des Sammelns als gesellschaftlichen Prozess einer Neuverhandlung näher betrachten und diskutieren. Wie können Wissensbestände musealer und universitärer Sammlungen vernetzt und zugänglich gemacht werden? Diese Frage ist virulent für den Wissenstransfer zwischen kooperierenden Institutionen und über sie hinaus. Deshalb beschäftigen wir uns in einem internen Workshop mit vernetzten Zugriffen auf digitalisierte Wissensbestände. In Rahmen der Abschlusstagung des Netzwerks transferorientierter Lehre in Baden-Württemberg fand am 14. Dezember 2021 in Stuttgart unser erster Workshop statt: Gemeinsam über Stock und Stein? Wegmarken transferorientierter Kooperation. Im Zentrum standen Strategien und Best-Practice-Erfahrungen vernetzter Wissen(schaft)skommunikation. KulturWissen venetzt auf der 30. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft und Volkskunde (ÖGEKW) in Klagenfurt (18.-20.05.2023): Urbanem und ruralem Wandel widmen sich Studienprojekte am Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen und dem Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg i. Br. In Kooperation mit der Landesstelle für Volkskunde des Badischen Landesmuseums wird dort zur Entstehung des neuen Stadtteils Dietenbach gesammelt und geforscht. Was ist Dein Ding bezüglich Dietenbach? Hier geht es zur Projektseite. Rückblick
07./08.11.2022 in Stuttgart:
Tagung Wozu sammeln?! Zur Neuverhandlung einer musealen Kernaufgabe
Verweise:08./09.03.2022 in Tübingen:
Workshop Datenbanksysteme im vernetzten Wissenstransfer14.12.2021 in Stuttgart:
Workshop Gemeinsam über Stock und Stein? Wegmarken transferorientierter Kooperation
Update Mai 2022: Auf Grundlage der Workshop-Ergebnisse entstand der Artikel Jenseits des akademischen Tellerrands für den Blog des Wissenschaftsjournalisten Jan-Martin Wiarda. Ausblick
Im Rahmen des Panels Digitale ethnografische Archive: Theorie- und Praxisperspektiven auf den Umgang mit Kulturerbe im digitalen Alltag ist unser Verbund mit dem Thema Digitales Kulturwissen vernetzt: Erfahrungen aus dem Forum Alltagskultur in Baden-Württemberg präsent.Aktuelles
Teilprojekte zu urbanem und ruralem Wandel gestartet
Rurale Transformation am Kipppunkt nimmt das Tübinger Teilprojekt in Kooperation mit dem Landesmuseum Württemberg in den Blick. In Neckarwestheim soll zum Jahresende das dortige Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar (GKN) abgeshaltet werden. Daher fragt dieses Teilprojekt nach dem Leben in Neckarwestheim mit und ohne „GKN“.