„ARBEIT IST ARBEIT IST ARBEIT IST… GESAMMELT, BEWAHRT UND NEU BETRACHTET“

Arbeit ist... bewegend

Was verbindet Migration, Streik und Arbeitswege? Bewegung.

Menschen, die migrieren, verlagern durch Bewegung ihren Lebensmittelpunkt. Menschen, die streiken, wollen Veränderungen bewirken, also etwas „bewegen“. Menschen, die aufgrund ihrer Arbeit in Bewegung sind, legen unterschiedliche Strecken zurück: die einen gehen zur Arbeit, die anderen arbeiten unterwegs.

Bewegung ist körperlich, wenn es zu Ortsveränderungen kommt. Sie ist emotional, wenn Arbeitnehmer*innen für eine Veränderung ihrer Arbeitsbedingungen kämpfen.

Migration gibt es seit jeher – im Umgang mit Migrant*innen auf dem Arbeitsmarkt ist ein Wandel erkennbar. Auch ist Streik nicht gleich Streik – Anliegen und Formen des Protestes können verschieden ausfallen.

Mobile Arbeitsformen gibt es schon seit dem Mittelalter, durch technischen Fortschritt aber haben sie sich verändert. Man kann während einer Zugfahrt arbeiten, zeitgleich ist der zurückgelegte Weg die Arbeit der Lokführer*innen.

Nach oben scrollen

„Songs of Gastarbeiter“

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen viele Menschen aus dem Ausland nach Deutschland, um zu arbeiten. Unter den damals sogenannten „Gastarbeitern“ entstanden Lieder über ihr Leben in Deutschland.

Die Songs auf der CD handeln von den Eindrücken und Belangen türkischstämmiger Arbeiter*innen. Sie geben einen Einblick in deren Lebenswirklichkeiten – sowohl auf Deutsch als auch auf Türkisch.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; hergestellt 2013; gesammelt 2018.

Fahrkarten als Schlüssel zur Mobilität

Um die Bahn als Verkehrsmittel nutzen zu können, ist zu Reiseantritt eine gültige Fahrkarte erforderlich. Diese Fahrkarte eröffnet je nach entrichtetem Preis unterschiedlich weite Strecken.

Hierbei handelt es sich um drei Fahrscheine, die benötigt wurden, um Forschungsarbeiten durchführen zu können. Die Student*innen reichten die Fahrkarten zur Preisrückerstattung bei ihrem Professor ein.

Studentische Fahrkarten als Sammlungsstücke

Im Rahmen des Projektes „Populärer Wandschmuck“ (1969-1975) erforschten Studierende und Mitarbeiter des Ludwig-Uhland-Instituts das Kunstverständnis der „unteren Schichten“ im Kreis Reutlingen. Die Studierenden erhielten Lohn für die Durchführung von Interviews und eine Erstattung der angefallenen Fahrkosten.

Zu Dokumentationszwecken wurden die Fahrkarten aufbewahrt und in die Sammlung des Ludwig-Uhland-Instituts aufgenommen.

Mobilität im Museum: Die Bahn als unentdeckte Möglichkeit

In unseren Partnersammlungen und -archiven wurde nur wenig zum Thema Bahnmobilität gesammelt. Alles rund um die Bahn findet in spezielle Bahnmuseen Einzug, wie dem Deutsche Bahn Museum in Nürnberg.

Doch wie das Bahnfahren erlebt und empfunden wird, ist auch in den Spezialmuseen bisher selten thematisiert worden. Die Perspektive auf die Akteur*innen eröffnet eine bisher unentdeckte Möglichkeit, den mobilen Alltag zu dokumentieren und auszustellen.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; hergestellt 1972; gesammelt um 1975.

Plötzlicher Aufbruch ohne Schuhe

Die Schuhe gehörten der Familie Jashari, die in Kusterdingen lebte. 2002 wurde sie in den Kosovo abgeschoben. Der Familienvater arbeitete im Dorf in einer Lackiererei und wurde im Betrieb geschätzt. Dennoch war dies nicht ausreichend, um in Deutschland bleiben zu dürfen.

Die Schuhe wurden in der Nacht der Abschiebung im Eingangsbereich des Wohnhauses liegen gelassen. Die Geschichte der Jasharis zeigt, dass ein Arbeitsplatz nicht vor Abschiebung schützt.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; Herstellungsdatum unbekannt; gesammelt 2002.

„Betteln & Hausieren strengstens verboten“

Warnschilder verboten an vielen Stellen der Stadt das Hausieren. Hausierer wurden dabei mit Bettlern auf die gleiche Stufe gestellt.

Hausierern wurde viel Misstrauen entgegengebracht. Meist gehörten sie zu sozial benachteiligten Minderheiten und ihnen wurden Diebstahl und Betrug unterstellt. Die Zünfte fürchteten die Konkurrenz zu den ortsansässigen Krämern, die ihre Waren meist in einem Laden am Markt verkaufen durften.

Museum der Alltagskultur, Schloss Waldenbuch; Herstellungsdatum unbekannt; gesammelt 2017.

Der Warenverkauf an der Haustür

Bereits früher brachten Menschen Waren zu anderen nach Hause. Hausierer verkauften zunächst wenig verderbliche Lebensmittel sowie Kolonialwaren und später industriell gefertigte Kurzwaren und Spielzeug an der Haustür.

Die hier ausgestellten Kurzwaren aus den 1950er-Jahren stammen aus der Lagerauflösung des Kurzwaren-Großhändlers Friedrich Plocher aus Albstadt-Ebingen. Hausierer konnten sich die Waren gegen Pfand leihen und sie dann weiterverkaufen. Er stattete sie mit einem Ausweis aus, in dem er die Menschen höflich bat, den Hausierer durch den Kauf seiner Waren zu unterstützen. Der Nachruf aus der Ebinger Zeitung vom 20.10.1961 gibt einen kurzen Überblick über das Leben Plochers.

Hausierer gibt es noch heute und es haben sich neue Formen des Hausierens entwickelt: Vertreter*innen, mobile Eisverkäufer*innen oder Veranstalter*innen von Tupperpartys.

Museum der Alltagskultur, Schloss Waldenbuch; hergestellt 1930er- bis 1950er-Jahre; gesammelt 1998.

„Was Verkommene singen“

Hans Ostwald (1873–1940) war gelernter Goldschmied, der selbst mit Anfang 20 als wandernder Handwerker durch Deutschland zog. Daraus schöpfend gab er nach 1903 in mehreren Bänden die „Lieder aus dem Rinnstein“ heraus – ein wichtiges Dokument der unteren sozialen Klassen und ihrer Lieder. Landstreicher, Vagabunden und Gesellen auf der Walz geben darin Auskunft über Themen die sie bewegen: Schikanen durch Obrigkeiten, Straßenleben, Abenteuer und die mühevolle (Suche nach) Arbeit. Neben vielen positiven Zeugnissen des Unterwegs-Seins behandelt das Lied „Klage“ die Mühen und Herausforderungen der Walz: die Schwierigkeiten des Lebensunterhalts, der nur durch fechten (ritualisiertes betteln) möglich ist und das ständige Risiko, von der Polizei aufgegriffen zu werden.

Zentrum für Populäre Kultur und Musik, Freiburg; Veröffentlichung von 1903; Sammlungsdatum unbekannt.

Kreativität ist gefragt: Protestrolle

Dieses bedruckte Toilettenpapier stammt von der ver.di-Jugend. Das Objekt macht provokativ und kreativ auf Probleme wie fehlende Tarifverträge oder befristete Jobs aufmerksam. Es ist ein Aktionsartikel, der durchgängig im Materialkatalog von ver.di vorhanden und universell einsatzbar ist, meist um ver.di wieder ins Gespräch zu bringen.

Gewerkschaften vertreten Arbeitnehmer*innen in ihren wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen. Dies tun sie auf vielfältige Art und Weise. Um die Aufmerksamkeit von Arbeitgeber*innen, Politik und vor allem der Öffentlichkeit zu erlangen, ist Kreativität mehr denn je gefragt.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; Objekt von ver.di Fils-Neckar-Alb; hergestellt um 2013; gesammelt 2018.

„Kopftuchstreit“

Arbeit und Privates lassen sich nicht immer trennen. Im Falle von Fereshta Ludin fallen beide Bereiche ineinander. Ludin wurde durch den sogenannten „Kopftuchstreit“ bekannt: Sie kämpfte dafür, ihr Kopftuch auch im Schuldienst tragen zu dürfen.

Ludin schloss an einer Grund- und Hauptschule in Plüderhausen ihre Ausbildung mit dem Staatsexamen ab. Die Verbeamtung wurde ihr wegen ihrer Kopfbedeckung verwehrt.

Dies ist eines von Fereshta Ludins Lieblingskopftüchern, das sie während ihres Referendariats trug. Es besteht aus Seide und hat eine Satinbindung. Ludin bindet es nach eigenen Vorlieben. Für sie ist es mehr als eine Kopfbedeckung, die während der Arbeit abgesetzt werden kann. Es ist ein Bestandteil ihrer Identität.

Kopftuch und das neue Jahrtausend

Wie kam das Kopftuch von Fereshta Ludin in die Sammlung des Museums der Alltagskultur in Waldenbuch?

Die Besitzerin übergab es auf Anfrage des Museums persönlich. Sie wollte so ein Zeichen für mehr Toleranz setzen. Im Jahr 1998 wurde sie als Lehramtsanwärterin nicht zum Staatsdienst zugelassen, da sie Kopftuchträgerin ist. Eine Klage ihrerseits wurde 2000 vor Gericht abgelehnt. Seit diesem Zeitpunkt wird in der Öffentlichkeit immer wieder über Kopftücher an Lehrpersonen im Schuldienst debattiert.

Museum der Alltagskultur, Schloss Waldenbuch; hergestellt um 1998; gesammelt 2000.

Weite Wege

Als Näherin auf Reisen war Marie Boos täglich mehrere Kilometer unterwegs. Ihre hier ausgestellten Schuhe lassen erahnen, wie stark sie in Benutzung waren.

Neben ihren Schuhen ist auch ihr Wirkungskreis erhalten. Die Grafik zeigt, wie weit sie mit ihren Schuhen gelaufen ist. Meist besuchte sie Dörfer im Umkreis von bis zu vier Kilometern. Dokumentiert ist ihr Wirkungskreis bis ins 70 Kilometer entfernte Ulm.

Museum der Alltagskultur, Schloss Waldenbuch; Herstellungsdatum unbekannt; gesammelt 1987.

Erschwerte Integration

In der gezeigten Stellenausschreibung von 1978 sind nur „deutsche Mitarbeiter“ erwünscht. Nicht-deutsche Bewerber*innen hatten keine Aussicht auf Anstellung. In diesem Fall gilt: Herkunft vor Qualifikation.

Die Stellenanzeige verweist auf einen off en diskriminierenden Umgang mit Migrant*innen in der Vergangenheit. Heute ist ein solcher Ausschluss vom Arbeitsmarkt rechtlich nicht mehr möglich. Dennoch ist Diskriminierung am Arbeitsplatz auch heutzutage nicht völlig auszuschließen.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; erschienen im Reutlinger General-Anzeiger 1978; gesammelt 1978.

Eine Näherin auf Reisen

Diese Nähzeugtasche mit Arbeitswerkzeug gehörte der Störschneiderin Marie Boos aus Aulendorf.

Im 18. Jahrhundert war der Großteil der Landbevölkerung arm. Gingen Dinge kaputt, so ließ man sie reparieren. Diese Reparaturen boten sogenannte Störgeher an. Sie zogen von Hof zu Hof und bekamen als Lohn für ihre Arbeit neben Geld auch Kost und Logis. Typische störhandwerkliche Berufe waren Kesselflicker, Scherenschleifer, Schuster und Zimmerer. Nach dem Krieg wurden diese Berufe oft von Frauen ausgeübt.

Störhandwerker*innen gibt es heute nicht mehr, da die Menschen eher Dinge neu kaufen, anstatt sie reparieren zu lassen.

Museum der Alltagskultur, Schloss Waldenbuch; Herstellungsdatum unbekannt; gesammelt 1987.

Erzieher*innen-Streik 2015 in Tübingen

Demonstrationen sind auch heute noch ein beliebtes Protestmittel. Rund 1.500 Menschen gingen am 19. Mai 2015 in Tübingen auf die Straße. Sie demonstrierten für die Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes. Unter den Demonstrierenden waren auch viele Eltern, die sich mit den Angestellten solidarisierten.

Die Aktion ging von der Gewerkschaft ver.di aus, die nach wochenlangen Streiks in ganz Deutschland einen Tarifvertrag aushandeln konnte.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; Fotografie von ver.di Fils-Neckar-Alb; aufgenommen 2015; gesammelt 2018.

Protest der Vielen: Trafo Union Bad Cannstatt

Die Zeitungsartikel berichten über den Protest gegen die Werksschließung der Trafo Union in Bad Cannstatt. Zwischen April 1984 und Juli 1985 kämpften rund 6.200 Beschäftigte für die Erhaltung des Industriewerkes. Sie machten mit Flugblättern, Menschenketten und Wochenmarktständen auf sich aufmerksam. Auch die Familien der Mitarbeiter und viele Unterstützer*innen aus der Gesellschaft beteiligten sich.

Nach einem Jahr verschiedenster Aktionen wurde im Juli 1985 ein Sozialplan erarbeitet, der von den Betriebsräten unterzeichnet wurde. Die Firma wurde abgerissen und Mitarbeiter*innen teilweise auf andere Werke verteilt. Heute steht auf dem Werksgelände das Cannstatter Carré, ein Einkaufs-, Büro- und Gesundheitszentrum.

Protest und Volkskunde – passt das?

Arbeitskämpfe wie Streiks oder Aufstände haben eine lange Geschichte. Das Thema passte jedoch nicht zur Sammlungslogik der Volkskunde des 20. Jahrhunderts. Die Sammlungen dienten einst zur Repräsentation einer Gesellschaft mit ihren scheinbar positiven Werten. Arbeitsproteste wiedersprachen diesen Werten, denn sie drückten Unzufriedenheit aus. Zeitungsartikel, vereinzelt Postkarten und Flugblätter zum Streik der Trafo Union sind nahezu die einzigen Objekte der württembergischen Sammlungen zum Thema Arbeitsprotest.

In den 1980er-Jahren änderte sich das Sammlungsinteresse. In der Dauerausstellung des Museums der Alltagskultur spielen die Themen Arbeit und Protest eine wichtige Rolle. Im 1. Stock des Museums finden Sie daher weitere Objekte zum Arbeiterprotest der Trafo Union aus dem Jahr 1985.

Museum der Alltagskultur, Schloss Waldenbuch; erschienen in der Cannstatter Zeitung und Stuttgarter Zeitung 1985; gesammelt 1985.

Traditionen in Bewegung

Wandergesellen erzeugen oft romantische Vorstellungen und Sehnsüchte: frei sein, die Welt sehen, unabhängig von häuslichen Verpflichtungen reisen und das alles im Einklang mit Jahrhunderte alten Traditionen und Ritualen.

Als Richtmaß für die Wanderzeit gelten drei Jahre und ein Tag. In dieser Zeit unterliegt das Verhalten vielfältig Regeln. In ihnen haben sich alte Traditionen gehalten, wurden weiterentwickelt und auch durch neue ersetzt. Schließlich musste sich die Wanderschaft angesichts ökonomischen und sozialen Wandels immer wieder neu erfinden und behaupten.

Alwin Tölles Bilder von Wandergesellen in Freiburg setzen scheinbar uralte Traditionen gekonnt in Szene und zeigen auch ausschließlich männliche Wandergesellen. Doch auch hier findet Bewegung im Sinne von Veränderung statt: seit den 1980er-Jahren gehen zunehmend auch Gesellinnen auf Wanderschaft.

Außenstelle Südbaden des Badischen Landesmuseum, Staufen; Fotografie von Alwin Tölle; aufgenommen um 1950; gesammelt 2003.