„ARBEIT IST ARBEIT IST ARBEIT IST… GESAMMELT, BEWAHRT UND NEU BETRACHTET“

Arbeit ist... gesammelt

Sammlungen sind mehr als ein Haufen alter Dinge: Sie wurden zu einer bestimmten Zeit zu einem bestimmten Zweck angelegt. Sie verleihen den Dingen eine besondere Bedeutung und verfolgen eine bestimmte Logik. Heute fragen wir uns: Was sollte für die Zukunft bewahrt werden? Was nicht?

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen bürgerliche Laien und staatliche Einrichtungen volkskundliche Sammlungen aufzubauen. Sie wollten alltägliche Dinge des ländlichen Lebens vor den Veränderungen der Industriemoderne bewahren. Nicht gesammelt wurden daher Dinge aus Stadt und Fabrik.

Solche volkskundlichen Sammlungen entstanden auch in Baden und Württemberg. Sie befinden sich heute in den Landesmuseen und in universitären Einrichtungen.

Mit den Umwälzungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik des 20. Jahrhunderts wandelten sich auch die volkskundlichen Sammlungen. Statt Zunftgerät und Tracht entdeckten die Verantwortlichen populäre Lesestoffe wie „EMMA“ und „Brigitte“ oder profane Arbeitskleidung wie Kittelschürzen.

Die zusammengetragenen Fotografien, Gegenstände und Lieder erzählen nicht nur Geschichten von Arbeit und Freizeit der letzten 100 Jahre. Sie verraten in ihrer Auswahl etwas über Absicht und Weltbild der Sammelnden.

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Die Nummer 1

Der Zunftbecher ist laut Inventarnummer das erste Objekt der Sammlung des Landesmuseums Württemberg. Er wurde 1862 für 25 Gulden in Tettnang gekauft. Der Becher ist ein sogenannter Willkomm, aus dem die Zunftmitglieder bei feierlichen Anlässen tranken.

Als das Museum den Becher erwarb, gab es die Bäcker- und Müllerzunft Tettnang schon nicht mehr. Denn viele Zünfte lösten sich mit der Einführung der Gewerbefreiheit 1862 auf. Die ehemaligen Statussymbole wurden dann von Museen und Privatpersonen angekauft. So kamen auch die rund 150 Zunftgegenstände in die Sammlung des Landesmuseums. Sie bildeten die Grundlage dieser volkskundlichen Sammlung.

Sammlung des Landesmuseums Württemberg, Stuttgart; hergestellt vermutlich um 1700; gesammelt 1862.

Die Handtrommelwaschmaschine – Ein Ding voller Arbeit

Die Handtrommelwaschmaschine (HTWM) verbildlicht unsere Vorgehensweise in den Sammlungen. Dort waren Dinge und Archivalien verschiedenen Kategorien zugeordnet, in die sie scheinbar eindeutig hineingehörten.

Wir entnahmen die Objekte aus diesen Kategorien und warfen sie, metaphorisch gesprochen, in die HTWM. Im Innern der Maschine wurden sie durchmischt, gedreht und gewendet. Durch unsere Bearbeitung haben sie andere Bedeutungen zum Vorschein gebracht.

Das (offene) Ergebnis dieser Prozedur zeigte, dass Arbeit unendlich viele Gesichter hat. Wie viele unterschiedlichen Geschichten und Perspektiven zu Arbeit sich in Dingen finden lassen, verdeutlicht ein Blick auf die HTWM.

Lesen Sie dazu die verschiedenen Objektgeschichten:

Geschichte 1: Technisierung

Im Jahr 1757 war die handbetriebene Waschmaschine eine technische Neuheit. Sie war ein Zeichen von Modernität und Fortschritt und erleichterte die Arbeit.

Heute ist die HTWM kein arbeitserleichterndes Gerät mehr. Im 20. Jahrhundert wurden die ersten elektrischen Waschmaschinen entwickelt. Ab den 1960er-Jahren hielten diese Einzug in die Mehrheit der Haushalte.

Dennoch wird die HTWM noch heute genutzt: Von Camper*innen, Klimaschützer*innen oder sogenannten Prepper*innen, die sich auf schlechtere Zeiten ohne Strom vorbereiten.

Geschichte 2: Geschlechterrollen 

„Wer wäscht eigentlich und warum?“ Die Trennung in ‚männliche‘ und ‚weibliche‘ Arbeitsbereiche unterliegt Prozessen, die historisch gewachsen sind. Sie strukturieren die Arbeitswelt und das Privatleben. Gleichzeitig prägen sie Vorstellungen von geschlechtlichen Rollenbildern. So übernehmen Frauen oft immer noch den Großteil des Haushalts, obwohl viele mittlerweile ebenso berufstätig sind wie Männer.

Geschichte 3: Der Haushalt

Wäschewaschen ist ein Klassiker unter den Haushaltsaufgaben. Doch es ist eine meist nicht bezahlte Arbeit. Lohn und Wertschätzung für Arbeit richten sich nicht nach einem objektiven Maßstab, sondern sind von politischen und gesellschaftlichen Prozessen geprägt.

Der Haushalt changiert zwischen den Kategorien Arbeit und Nicht-Arbeit. Denn Hausarbeit ist institutionell nicht als Arbeit anerkannt. Gleichzeitig ist Hausarbeit eine unverzichtbare und anstrengende (körperliche) Arbeit, die Zeit, Wissen und Ressourcen beansprucht.

Geschichte 4: Handarbeit 

Früher war Handarbeit kein reines Vergnügen, sondern notwendiger Bestandteil des häuslichen Arbeitsalltags.‚modern‘.

Besonders Camper*innen, Klimaschützer*innen oder sogenannte ‚Do-It-Yourself‘-Gruppen nutzen die HTWM. Sie empfinden den Betrieb ohne Strom als ökologisch, nachhaltig und damit fortschrittlich. Zudem ist die kompakte HTWM leicht zu transportieren, was mobilen Lebensstilen entgegenkommt.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; hergestellt 1997; gesammelt 1999.

Trügerische Idylle

Das Spinnrad stand in den 1930er-Jahren im Eingangsbereich des „Instituts für deutsche Volkskunde“. Es gehörte zu einer bäuerlichen Kulisse mit Eckbank, Anrichte und Kamin. Die nachgebildete Stube stimmte die Besucher*innen auf eine Ausstellung mit Bauernhausmodellen, Trachten- und Brauchutensilien ein.

Das Institut sammelte noch andere vorindustrielle Arbeitsgeräte wie das Spinnrad. Damit wollte es eine vermeintlich „ursprüngliche“ und einheitliche Lebensweise der Deutschen belegen.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; hergestellt 1920er-/1930er-Jahre; gesammelt 1935.

Heimatgeschichte als Arbeitergeschichte

Das Plakat bewirbt eine Wanderausstellung zu Kultur und Lebensweise von Arbeiter*innen in Württemberg. Studierende des Ludwig-Uhland-Instituts bearbeiteten damit 1976 ein lang ignoriertes Thema. In diesem Zuge erweiterten sie die Institutssammlung um neue Archivalien.

Die ‚alte‘ Volkskunde hatte bisher vorwiegend Dinge des bäuerlich-ländlichen Lebens gesammelt. Diesen Fokus kritisierten in den 1970er-Jahren junge Dozent*innen und Studierende. Das Studienprojekt läutete eine Wende ein und warf einen neuen Blick auf „Heimat“, der den Alltag von Lohnarbeiter*innen berücksichtigt.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; hergestellt 1976; gesammelt 1976.

Geistlicher Beistand für die Sammlung

Die „Abteilung Volkstum“ sammelte zahlreiche Fotografien ländlichen Lebens. Dafür stand der Leiter und Mundartdichter August Lämmle (1876-1962) 1933 im Austausch mit Ernst Dreher (1862-1943).

Dieser war als Pfarrer auf der Schwäbischen Alb tätig. Seine Position als Geistlicher ermöglichte Dreher einen leichten Zugang zu den Menschen seiner Gemeinde. Über viele Jahre konnte er Menschen in ihrem Lebens- und Arbeitsalltag fotografisch festhalten. Die Motive zeigen, was die „Abteilung Volkstum“ als schützenswerte Heimat verstand. So lobt Lämmle den Pfarrer in einem Brief für die Wiedergabe des „Geist[es] des Bäuerlichen“ in dessen Bildern.

Landesstelle für Volkskunde des Landesmuseums Württemberg, Stuttgart; Brief von August Lämmle an Ernst Dreher am 30.10.1933. Fotografien von Ernst Dreher; aufgenommen 1900-1925; gesammelt 1930er-Jahre.

Ein Weber als Model

Die Fotografie zeigt einen Leineweber, der in häuslicher Umgebung am Spulrad arbeitet. Sie wurde von Hans Retzlaff (1902-1965) aufgenommen, einem zu NS-Zeiten erfolgreichen Fotografen. Die Aufnahme bestärkt eine romantische Vorstellung von Handwerk, die im Gegensatz zur industriellen Fabrikarbeit steht.

Dies hatte jedoch mit der Lebenswirklichkeit des Abgebildeten wenig zu tun. Johannes Schlenk aus Laichingen hatte bis 1930 bei einer Blaubeurener Leinenfirma gearbeitet. Nach deren Schließung wurde er arbeitslos. Notgedrungen setzte er seine Arbeit von zu Hause aus fort. Zusätzlich betätigte er sich für verschiedene Fotografen als Modell. So verbreitete sich das trügerische Bild einer scheinbar ungebrochenen Handwerkstradition.

Archiv der Alltagskultur, Tübingen; aufgenommen um 1935; gesammelt 1935.

Neue alte Schenkung

Der Spaten ist eine Schenkung aus dem Jahr 2017 zum Thema Arbeit. Auch heute noch werden in Waldenbuch historische Objekte gesammelt. Häufig gelangen Dinge erst in Museen, wenn die Vorbesitzer*innen sie nicht mehr brauchen oder wollen. So auch dieser Spaten.

Beim Eintritt in den Reichsarbeitsdienst bekamen Männer symbolisch ein Spaten überreicht. Den sechsmonatigen Dienst mussten im Nationalsozialismus alle jungen Menschen absolvieren. Sie arbeiteten dann im Straßenbau oder in der Landwirtschaft. In dieser Zeit wurde maschinelle Arbeit oft gegen Handarbeit ersetzt, um so die Arbeitslosigkeit zu verringern. Für die Nationalsozialisten war der Reichsarbeitsdienst ein Ehrendienst.

Museum der Alltagskultur, Schloss Waldenbuch; hergestellt um 1935; gesammelt 2017.