Auf Augenhöhe – eine andere Perspektive auf Strafsituationen zwischen Eltern und Kind
Felizitas Juen
Strafe als gemeinsame Handlung?
Eine andere Perspektive auf elterliche Strafe
In meinem Beitrag über elterliche Strafe erläutere ich zunächst, dass sich die Verwendung des Begriffs Strafe in der Erziehung im Laufe der Zeit stark verändert hat. Auch in den von mir geführten Interviews mit drei Eltern wird dieser Begriff für die Beschreibung ihrer eigenen Erziehungspraktiken vermieden oder gar abgelehnt.
Ein wichtiger Schritt für meine kulturanthropologische Perspektive ist demnach den Begriff der elterlichen Strafe zu schärfen. Dafür nehme ich eine klare Unterscheidung von Strafe zu Gewalt oder Missbrauch vor: Für meine Sichtweise ist elterliche Strafe nicht vereinbar mit Gewalt.
Doch was macht elterliche Strafe dann aus? Meiner Argumentation nach soll elterliche Strafe die Autonomie des Kindes wahren. Dies kann geschehen, indem Eltern mit ihrem Kind auf Augenhöhe kommunizieren, sodass die Norm, die Normbrechung und die darauffolgende Strafe vom Kind verstanden und nachvollzogen werden können. Das Kind wird somit durch eine Strafe in seiner Selbständigkeit bestärkt. Dieses Paradox der elterlichen Strafe beschreibt der Philosoph Henning Hahn mit dem Konzept Strafe als gemeinsame Handlung. Eltern wollen ihrem Kind Grenzen, Regeln und Normen vermitteln und gleichzeitig beabsichtigen sie ihr Kind zur Eigenständigkeit zu erziehen. Bei Strafe als gemeinsame Handlung sind Kinder nicht passive Empfänger*innen der Strafe, sondern werden als verantwortungsbewusste Mit-Akteur*innen erkannt. Anhand von Interviews mit zwei Vätern und einer Mutter beleuchte ich in meinem Beitrag dieses Konzept elterlicher Strafe aus empirischer Sicht.
Diese neuartige Perspektive zeigt dabei eine relationale Machtdynamik zwischen Eltern und Kind auf, denn im Mittelpunkt von Strafe steht hier nicht Machtdurchsetzung, sondern Aushandlung.
Juen, Felizitas: Strafe als gemeinsame Handlung? Eine andere Perspektive auf elterliche Strafe. In: Sieferle, Barbara (Hg.): Strafen. Kulturanthropologische Perspektiven (= Freiburger Studien zur Kulturanthropologie, 5). Münster 2021, S.118-130.