Landwirtschaftliche Betriebe haben unterschiedliche Optionen, wie sie die Natur unterstützen und ihr etwas zurückgeben können. Eine Möglichkeit, die beim Betrachten des Geländes des von uns begleiteten Baumert Hofs, direkt auffällt, ist, dass zwischen den mit Mais und Getreide bewirtschafteten Feldern auch noch Landstücke mit Wildpflanzen hervorstechen. Unsere Interviewpartnerin Veronika Larranaga-Schneider erzählt uns während des Gespräches anhand der Fotos, die sie in ihrem Alltag für uns angefertigt hat, wie das genau aussieht und warum sich der Hof entschieden hat, diese Landstücke „nicht wirtschaftlich zu bewirtschaften“¹. Auf dem Foto sind die Streifen von je 15 Meter Länge, welche an vier Felder angrenzen, erkennbar. Dort wird eine Mischung ausgesät, welche 20 verschiedene Wildpflanzensorten enthält. Diese werden im Sommer abgeerntet, um bis zum Winter wieder etwas nachwachsen zu können. 

Die Wildblumenfläche erscheint im Vergleich zu den übrigen Feldern des Hofes klein und kann mit Blick auf den ökonomischen Gewinn des Hofes kaum eine Rolle spielen. Für Veronika Larranaga-Schneider und ihre Familie müssen also andere, nicht-ökonomische Faktoren in die Entscheidung einfließen.

Das zentrale Stichwort hier ist Biodiversität. Sie ist aus unterschiedlichen Gründen wichtig für die Landwirtschaft. Um weiterhin nachhaltig Pflanzen anbauen zu können, muss eine gewisse Variation von Ökosystemen und genetische Vielfalt gewährleistet werden. Ein Ökosystem beschreibt einen Lebensraum mit allen darin existierenden Lebewesen und Pflanzen. Es kann von Menschen durch gezielte Beeinflussung der Böden oder Aussaat bestimmter Pflanzen hergestellt oder unterstützt werden, vor allem aber muss das Ökosystem ‚selbst aktiv werden‘.

Die Kulturanthropologie beschäftigt sich auch mit der Forschung um nichtmenschliche Akteur:innen zum Beispiel im Bereich der Multispecies-Studies. Hier wird unter anderem auch Tiere und Pflanzen eine Agency zugesprochen, sozusagen ein eigenes Handlungspotential. In einem Netzwerk, wie hier zum Beispiel das schon angesprochene Ökosystem, agieren alle Akteur:innen miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. Jeder Teil – Boden, Wurzel, Blüte, Biene etc. – gestaltet aktiv die Lebensräume mit. Durch den Einfluss, den Landwirt:innen durch Bewirtschaftung auf diese Räume nehmen, verändern sich die Ökosysteme und negative Aspekte, wie ein Qualitätsverlust des Erdbodens, können hervortreten und sich wiederum auf die anderen Akteur:innen im Netz auswirken. Eine biodiverse Landwirtschaft hat hingegen verschiedene Vorteile. Die Wildpflanzen locken mehr Bienen und Hummeln an, welche auch die Bestäubung der Kulturpflanzen unterstützen. Durch die abwechslungsreiche Bepflanzung verbessert sich der Nährstoffgehalt des Bodens.

Der Bereich stellt aber auch für Tiere einen wichtigen Rückzugsort dar. Der Hof arbeitet mit einem örtlichen Jäger und der Deutschen Wildtier Stiftung zusammen, da sich in den hohen Pflanzen unter anderem Hasen und Füchse zurückziehen und auch Bodenbrüter dort ihre Nester bauen. Durch die Pflanzenvielfalt können dort Tiere vorgefunden werden, die sonst in der Umgebung nur noch selten vorkommen, wie die Distelfinken, welche sich von den vielen dort angesäten Disteln ernähren, oder viele weitere außergewöhnliche Schmetterlinge und Insekten. Diese können die natürliche Schädlingsbekämpfung unterstützen. Im Frühjahr ist es auch ein Rückzugsort für Rehkitze, da der Bereich im Gegensatz zu den Feldern weitestgehend in Ruhe gelassen wird und nur von dem Jäger patrouilliert wird, um die Tiere und ihre Gesundheit zu überprüfen. Veronika Larranaga-Schneider sagt uns in unserem Gespräch über ihre Fotos deutlich:

„So viel Mehrwert haben wir eigentlich tatsächlich nicht. Aber es ist einfach so der Mehrwert für die Umwelt.“[2]

Um die Vielfalt der Pflanzen und Tiere beizubehalten, ist die Förderung dieser bepflanzten Bereiche wichtig für Natur und Umwelt. Der Baumert Hof profitiert wirtschaftlich nicht von den Bereichen. Da Verluste für die sowieso schon knapp kalkulierten Betriebe nicht tragbar sind, braucht es Stiftungen und Organisationen, um Anreize für mehr Naturschutz zu schaffen. Auch der Blick auf die vermeintlich kleinen Dinge und Praktiken, die landwirtschaftliche Betriebe umsetzen, lohnt sich, wenn man verstehen möchte, wie Transformationen angestoßen werden. Betriebe müssen wirtschaftlich denken, um weiter marktfähig zu bleiben, was aber nicht bedeutet, dass sie zwingend die Natur ausnutzen, ohne dem Kreislauf der Natur etwas zurückzugeben. Durch ein nachhaltiges Wachstum und eine biodiverse Landwirtschaft kann sich die Priorität mehr auf ein Miteinander in den Lebensräumen und den Erhalt eines diversen Ökosystems verschieben. Die Akteur:innen sind letztendlich alle voneinander abhängig.

1 Interview mit Veronika Larranaga-Schneider vom 07.11.2022. 
2 Interview mit Veronika Larranaga-Schneider vom 07.11.2022. 

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Was passiert im landwirtschaftlichen Alltag, wenn nicht mehr primär das Ökonomische, sondern auch das Ökologische zum Bezugspunkt der Praktiken wird? Oder ist die Auseinandersetzung mit ‚Natur‘ – etwa Pflanzen und Tieren – der Landwirtschaft sowieso inhärent? Landwirt:innen stehen in einem relationalen Verhältnis zu der sie umgebenden Umwelt: Das Sorgetragen für neu wachsende Fichten und Tannen sichert den eigenen wirtschaftlichen Ertrag, die stofflich nicht direkt verwertbare Haselnussplantage stabilisiert die Biodiversität und gibt Nährstoffe an den bewirtschafteten Ackerboden zurück. Die Vorstellung einer vermeintlichen Trennung von Mensch und Umwelt, von Kultur und Natur scheint hier aufgehoben.

Baumert Hof

Der Baumert Hof ist einer von tausenden Höfen in Baden-Württemberg. Als Aussiedlerhof in den 1950er Jahren gegründet, hat sich die Art der Bewirtschaftung seitdem stark verändert. Noch heute gibt es Ackerbau und Nutztierhaltung auf dem Hof – doch die Methoden haben sich stark verändert. Wo früher noch händisches Melken notwendig war, übernimmt diese Aufgabe nun ein Melkroboter. Ein Teil der Milch wird noch vor Ort zu Speiseeis verarbeitet und dann verkauft. Auch die Ackerflächen dienen nicht mehr allein dem Anbau von Futtermitteln für Nutztiere, sondern auch der Produktion von Biomasse für die hofeigene Biogasanlage. Ein Großteil der genutzten Biomasse wird aber nicht extra dafür angebaut.

So fällt Gülle als Nebenprodukt der Milchviehhaltung an. Neben dem Ausbringen der Gülle als Dünger wird sie in der Biogasanlage energetisch genutzt.

Das Team um Veronika Larranaga-Schneider, Karl-Philipp Baumert und Raphael Baumert betreibt den Hof mit einer klaren Orientierung auf eine Landwirtschaft, die auch in Zukunft noch bestehen kann. Diese Ausrichtung zeigt sich nicht nur in den genutzten nachhaltigen Methoden, sondern auch etwa durch den Versuch den Kund:innen, Abläufe transparent und nachvollziehbar darzustellen. Sei es durch die installierten Infotafeln vor dem Hof oder die Einladung den Hof zu besuchen.