Die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft passen sich den Jahreszeiten an. Wann gesät, gedüngt und geerntet wird, unterliegt den Einflüssen der Natur. Die Grundlagen für das Wachstum von Pflanzen bilden seit jeher der Boden, die Luft und die Sonne. Stürme, Starkregen und Dürren können die komplette Ernte gefährden. Was bedeutet diese Abhängigkeit für den Alltag der Landwirt:innen, welche anderen Belastungen gibt es und inwiefern können sie darauf reagieren?
Während unseres Forschungsprojektes sprechen die Landwirt:innen immer wieder ihre individuellen Zukunftsängste an. Der Soziologe Ulrich Beck nennt Zukunftsängste in Verbindung mit dem allgemeinen Wandel zur Risikogesellschaft.1 Mit konkretem Blick auf unsere Forschung zeigt sich zum Beispiel, dass die Angst vor der Zukunft besonders bei der Elterngeneration eines Landwirts unserer besuchten Höfe ausgeprägt gewesen sei: Sein Vater habe bei der Aussicht auf Unwetter oder Hagel nächtelang nicht geschlafen, aus Angst die Arbeit des ganzen Jahres zu verlieren, berichtet unser Forschungspartner im Gespräch. Die Angst vor einem Ernteverlust habe er selbst auch, nichtsdestotrotz sei aber deutlich entspannter als sein Vater. Dies liegt bei diesem und anderen Betrieben auch daran, dass sie sich wesentlich breiter aufstellen als früher und damit Verluste in einzelnen Bereichen keinen Komplettverlust des wirtschaftlichen Ertrags mehr bedeuten. Biogasanlagen, Direktvertrieb und Veredelung der eigenen Produkte schaffen neue oder bessere Einkommensmöglichkeiten.
Direkt verbunden mit der Sorge um die Ernte ist die Sorge um zukünftige Marktpreise für eigene Erzeugnisse. Viele Faktoren beeinflussen das Angebot und die Nachfrage. Neben dem Wetter haben die Wirtschaftslage, Kriege und Subventionen großen Einfluss auf die Preisbildung. Dies macht es für landwirtschaftliche Betriebe schwierig, ihr Einkommen im kommenden Jahr zu planen.
Allgemein wird aktuell die Mehrheit der Höfe im Nebenerwerb betrieben. Bei Nebenerwerbshöfen darf das Einkommen aus der Landwirtschaft maximal die Hälfte des Familieneinkommens betragen, in Baden-Württemberg betrifft dies fast zwei Drittel der Höfe.2 Ganz gleich ob Haupt- oder Nebenerwerb: Landwirt:innen suchen auch gegenwärtig Umgangsweisen mit dieser Unsicherheit. Ansätze hierfür sind z.B. die Nutzung neuer Technologien wie Biogasanlagen sowie die Verbesserung bereits genutzter Techniken durch andere Maschinen. Moderne Gülleselbstfahrer bringen die Gülle beispielsweise niedriger aus und arbeiten sie direkt in den Boden ein. Das ist sowohl effizienter als auch geruchsärmer, was die Außenwahrnehmung der Betriebe verbessern kann. Mit neuen Maschinen sind jedoch stets auch hohe Investitionen verbunden, die sich nicht jeder Betrieb leisten kann oder die er auf andere Weise ausgleichen muss. Eine Gesprächspartnerin berichtet, dass ihr Hof den eigenen Gülleselbstfahrer auch vermietet. Dies senke das Risiko der Investition und spare zudem auch Material ein, wenn nicht jeder einzelne Betrieb eine eigene Maschine kaufen muss. Zudem gibt es kleineren Höfen die Möglichkeit an neueren Technologien teilzuhaben.
Die Landwirt:innen nutzen gegebene Strukturen, transformieren und ergänzen sie. Das gelingt aber nicht allen. Die Zahl die Höfe sinkt seit Jahren. Die unsicheren Zukunftsaussichten tragen hierzu bei. Die Praktiken und Perspektiven der Landwirt:innen geben nicht nur Einblick in ihren Alltag, sondern können auch Beispiele für gelungene Umgangsweisen mit einer unsicheren Zukunft sein.
1 Vgl. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt, 2020, S. 25 f.
2 Vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: Haupt- und Nebenerwerbsbetriebe seit 1979. Online verfügbar unter: https://www.statistik-bw.de/Landwirtschaft/Agrarstruktur/05015025.tab?R=LA (Stand 01.05.2023).